Neunter Artikel. Wer im Stande der Gnade ist, bedarf, um Gutes zu wirken, eines neuen Gnadenbeistandes.
a) Das Gegenteil geht daraus hervor: I. Zwecklos oder unvollkommen ist, was nicht das erreicht, wozu es gegeben worden. Dazu aber wird die Gnade gegeben, daß wir das Gute thun, das Böse vermeiden. Also ist sie unnütz, wenn sie dazu nicht genügt. II. Der heilige Geist wird vermittelst der Gnade gegeben, nach 1. Kor. 3.: „Wißt ihr nicht, daß ihr ein Tempel des heiligen Geistes seid und der Geist Gottes in euch wohnt.“ Der heilige Geist aber ist allmächtig und somit genügend, um zum Guten anzuleiten. Also wer einmal die Gnade hat, kann das Gute und das Böse vermeiden ohne neuen Gnadenbeistand. III. Bedarf der Mensch im Stande der Gnade noch einer weiteren Gnade, um zu wirken, so bedarf er mit Rücksicht auf die letztere wieder einer anderen; und so würde es endlos weiter gehen, so daß ein Wirken gar nicht möglich wäre. Auf der anderen Seite sagt Augustin (natura et grat. 26.): „Wie das gesündeste Auge nicht thatsächlich sehen kann, wenn es nicht durch den Glanz des Lichtes unterstützt ist; so kann der vollkommen gerechtfertigte Mensch nicht gut und heilsam leben, wenn er nicht durch das ewige Licht der Gerechtigkeit von seiten Gottes unterstützt wird.“ Die „Rechtfertigung“ aber geschieht nach Röm. 3, 24. „durch die Gnade“. Also wer im Stande der Gnade ist, bedarf noch einer weiteren Gnade, um gut zu leben.
b) Ich antworte, der Mensch bedürfe, wie Art. 2 gesagt: 1. eines innerlichen Gnadenzustandes, vermittelst dessen er geheilt und zu verdienstlichen Werken befähigt wird, welche die Kraft der Natur überschreiten; und 2. bedürfe er des Beistandes der Gnade als eines Anstoßes zur heilsamen Thätigkeit. Mit Rücksicht nun auf das Erste hat der Mensch keine weitere Gnade notwendig, die etwa wie ein nochmaliger dem Innern eingeprägter Gnadenzustand wäre, vermittelst deren er nun wirken kann. Er bedarf jedoch, trotzdem er im Stande der Gnade ist, noch des Anstoßes zur Thätigkeit von seiten des Gnadenbeistandes: 1. weil im allgemeinen kein Geschöpf zur Thätigkeit kommen kann außer kraft der von Gott ausgehenden, den Anstoß gebenden Bewegung; — 2. weil insbesondere bei der menschlichen Natur wohl der vernünftige Geist geheilt wird durch die Gnade, jedoch die Verderbtheit noch im Fleische verbleibt, vermittelst deren er „dem Gesetze der Sünde dient.“ (Röm. 7.) Es verbleibt ebenso eine gewisse Unkenntnis, so daß wir, „worum wir beten sollen, wie es sich gebührt, nicht wissen“ (Röm. 8, 26.); denn weder kennen wir den Ausgang der Dinge noch uns selbst und unsere Bedürfnisse in vollkommener Weise, sind doch „die Gedanken der Sterblichen furchtsam und unsicher unsere Voraussicht.“ (Sap. 9, 14.) Demnach müssen wir im einzelnen von Gott uns leiten lassen, der Alles weiß und kann. Und deshalb müssen auch wir immer flehen: „Führe uns nicht in Versuchung“ und: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden.“
c) I. Nicht deshalb wird der innere Gnadenzustand verliehen, daß wir keiner weiteren Gnade mehr bedürften; denn jede Kreatur muß in dem, was sie erhalten, ebenso von Gott bewahrt werden. Auch im Stande der Herrlichkeit, wo die Gnade durchaus vollkommen sein wird, wird ja der Mensch des göttlichen Beistandes bedürfen. Nicht deshalb also ist die Gnade eine unvollkommene, weil sie immer wieder die Seele zu Gott hinführt, um von Ihm weiter unterstützt zu werden. Hier auf Erden ist zudem die Gnade in etwa unvollkommen, weil sie den Menschen nicht ganz und gar heilt. II. Das Wirken des heiligen Geistes, um uns in Thätigkeit zu setzen und zu schützen, beschränkt sich nicht auf den inneren Gnadenzustand, den Er verursacht; sondern außer dieser Wirkung beschützt Er uns noch und setzt uns in Thätigkeit zugleich mit dem Vater und dem Sohne. III. Keines anderen Gnadenzustandes bedarf der Mensch; das schließt der Einwurf und das ist richtig.
