Zehnter Artikel. Das Verdienst und die zeitlichen Güter.
a) Die zeitlichen Güter fallen unter das Verdienst. Denn: I. Zeitliche Güter sind im Alten Testamente als gerechter Lohn verheißen worden; also werden sie verdient. II. Gott vergilt manchmal den Menschen ihre Ihm geleisteten Dienste mit zeitlichem Lohne; wie Exod. 1.: „Und weil die Hebammen Gott fürchteten, erbaute Er ihnen Häuser“ etc., wozu Gregor (18. moral. 4.) erklärend bemerkt: „Der Lohn für ihre liebevolle Gefälligkeit konnte das ewige Leben sein; die Schuld der Lüge aber erhielt eine zeitliche Vergeltung;“ — und Ezech. 29.: „Der König von Babylon ließ unter großer Beschwerde sein Heer dienen gegen Tyrus und einen Lohn erhielt es nicht“ und gleich darauf: „Es wird dem Heere ein Lohn sein; das Land Ägypten will ich ihm geben, weil es für mich gearbeitet hat.“ Zeitliche Güter also werden verdient. III. Wegen der Sünden werden einige zeitlich bestraft, wie die Sodomiten. Also werden ebenso wegen des Guten, was sie gewirkt, einige zeitlich belohnt. IV. Auf der anderen Seite ist das, was Gegenstand des Verdienstes ist, nicht gleichmäßig auf alle verteilt. Zeitliche Übel und zeitliche Güter aber werden gleichmäßig Guten und Bösen zu teil; nach Ekkle. 9.: „Alles begegnet gleichmäßig dem Gerechten und dem Gottlosen, dem Guten und Bösen, dem Reinen und Unreinen, dem, der Opfer darbringt, und dem, der sie verachtet.“
b) Ich antworte, der Lohn schließe immer den Charakter von etwas Gutem in sich. Nun giebt es ein Gut schlechthin; das ist der letzte Endzweck, wonach es heißt: „Mir ist es ein Gut, Gott anzuhängen. Der letzte Endzweck also und Alles, was zu ihm hinführt, fällt schlechthin und ohne weiteres unter das Verdienst. Dann giebt es aber auch ein Gut, nur nach einer gewissen Seite hin, nur für den Augenblick; und dergleichen Güter fallen nicht unter das Verdienst schlechthin und ohne weiteres. Soweit also die zeitlichen Güter zum letzten Zwecke, zur Übung der Tugenden beitragen, soweit sind sie direkt und schlechthin ohne weiteres Gegenstand des Verdienstes, wie auch die Vermehrung der Gnade und Alles, was dem Menschen nach der ersten Gnade behilflich ist für die ewige Seligkeit. Denn so viel giebt Gott den Gerechten an Gütern und an Übeln, wie viel erfordert ist für die Erlangung des ewigen Lebens. Danach heißt es Ps. 33.: „Die Gott fürchten, werden kein Minder in allem Gute erfahren;“ und Ps. 36.: „Ich habe den Gerechten nicht verlassen gesehen“ etc. Werden aber die zeitlichen Güter an sich betrachtet, so sind sie nicht schlechthin „Güter“, sondern nur unter gewisser Voraussetzung. Und somit fallen sie ähnlich auch unter das Verdienst; insofern nämlich die Menschen von seiten Gottes zu einzelnen zeitlichen Gütern hin bewegt und bestimmt werden, in denen sie unter Billigung Gottes erreichen, was sie wollten, so zwar daß, wie das ewige Leben schlechthin der Lohn der gerechten Werke ist mit Beziehung auf den Anstoß, den Gott gegeben, so die zeitlichen Güter an sich betrachtet den Charakter eines Lohnes haben mit Beziehung auf den diesbezüglichen Anstoß, den Gott gegeben, wodurch die Willenskräfte der Menschen bestimmt werden zu deren (der zeitlichen Güter) Erreichung; mögen dabei die Menschen auch nicht immer die rechte Absicht haben.
c) I. Augustin sagt (4. c. Faust. 2.): „In jenen zeitlichen Verheißungen waren Bilder der zukünftigen geistigen Verheißungen, die in uns sich erfüllen. Denn das fleischliche Volk haftete an den Verheißungen, die auf das gegenwärtige Leben Bezug haben; und nicht nur ihre Sprache, sondern auch ihr Leben war Prophetie.“ II. Jene Vergeltungen sind von seiten Gottes gemacht worden mit Rücksicht auf den Anstoß, den Er gegeben zu den betreffenden Werken; nicht aber mit Rücksicht auf die Bosheit des Willens, zumal beim König von Babylon, der Tyrus nicht bekämpfte, um Gott zu dienen, sondern um seine Herrschaft auszudehnen. Ähnlich hatten die Hebammen wohl guten Willen rücksichtlich der Rettung der Knaben; jedoch war derselbe nicht gut, soweit sie eine Lüge formten. III. Die zeitlichen Übel sind für die Gottlosen Strafen, denn sie bedienen sich deren nicht für das ewige Leben. Für die Guten sind sie Arznei. IV. Alles kommt gleichmäßig Guten und Bösen zu, soweit es auf die Substanz der Dinge ankommt; nicht aber soweit es sich um den Zweck handelt. Denn die Guten kommen mit Hilfe dieser zeitlichen Güter in den Himmel, die Bösen nicht. Und dies genüge für die Moralprincipien im allgemeinen.
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