Vierter Artikel. Über die Notwendigkeit, das zu glauben, was durch die natürliche Vernunft bewiesen werden kann.
a) Eine solche Notwendigkeit scheint unzulässig zu sein.Denn: I. In den Werken der Natur giebt es nichts Überflüssiges und noch weit weniger also in den Werken Gottes. Kann man somit zur Kenntnis einer Wahrheit durch die Vernunft gelangen, so ist der Glaube überflüssig. II. Nicht den nämlichen Gegenstand haben Glauben und Wissen. Der Gegenstand des Wissens aber ist das, was kraft der natürlichen Vernunft erforscht werden kann .Also ist dies nicht Gegenstand des Glaubens. III. Alles Wissenswerte hat denselben Wesenscharakter. Muß also das Eine geglaubt werden, dann auch Alles; was unzukömmlich ist. Auf der anderen Seite ist es notwendig zu glauben, daß Gott ein einiger, daß Er unkörperlich sei. Dies aber beweisen die Philosophen.
b) Ich antworte, aus drei Gründen müsse der Mensch durch den Glauben empfangen das, was auch die natürliche Vernunft erkennt: 1. damit der Mensch schneller zur Kenntnis der göttlichen Wahrheit gelange. Denn die Wissenschaft, welche sich mit Beweisen über Gottes Dasein und über seine Vollkommenheiten befaßt, ist die letzte und setzt viele andere Wissenschaften als bereits erkannte voraus. 2. Damit die Kenntnis Gottes ausgedehnter und gemeinsamer werde. Denn viele können sich nicht gut mit diesen Studien abgeben, weil sie entweder wenig Talent oder zahlreiche andere notwendige Beschäftigungen haben oder auch zu träge sind. Die Kenntnis Gottes würde also vielen verloren gehen. 3. Damit dieser Kenntnis über Gott Zuverlässigkeit innewohne. Denn die natürliche Vernunft ist an sich sehr schwach in göttlichen Dingen. Deshalb bestanden da, in der alten Philosophie, auch so viele Irrtümer und gegensätzliche Meinungen. Damit also die Kenntnis Gottes eine zweifellose sei, mußte sie nach Weise des Glaubens vorgestellt werden; nämlich wie von Gott selbst gelehrt, der nicht lügen kann.
c)I. Die Untersuchungen der natürlichen Vernunft über Gott genügen nicht dem Menschengeschlechte zur Kenntnis des Göttlichen. Also ist da nichts Überflüssiges. II. Über den nämlichen Gegenstand besteht bei der nämlichen Person kein Wissen und Glauben zugleich. Was aber der eine weiß, kann der andere glauben. III. Nicht alles Wissenswerte ordnet gleichermaßen zur ewigen Seligkeit hin; deshalb wird nicht Alles als Glaubenspunkt vorgestellt.
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