Sechster Artikel. Nicht alle sind gleichmäßig gehalten, in ausdrücklicher weise Bestimmtes zu glauben.
a) Das Gegenteil scheint offenbar. Denn: I. Zu dem, was notwendig zum Heile gehört, sind alle gleichmäßig gehalten. Der ausdrückliche Glaube rücksichtlich mancher Punkte ist aber zum Heile notwendig. Also. II. Niemand darf darin geprüft werden, was er nicht in ausdrücklicher Weise zu glauben gehalten ist. Bisweilen aber werden selbst Kinder in den geringsten Glaubensartikeln geprüft. Also sind alle verpflichtet, Alles in ausdrücklicher Weise zu glauben. III. Wären die gewöhnlichen Leute nicht gehalten, Alles in ausdrücklicher Weise zu glauben, sondern könnten sie im Glauben der gelehrteren ihren Glauben einschließen, so wäre dies höchst gefahrvoll; denn letztere könnten irren. Also müssen alle ganz gleichermaßen in ausdrücklicher Weise Glauben haben. Auf der anderen Seite heißt es bei Job 1.: „Die Ochsen pflügten und die Eselinnen weideten neben ihnen.“ Denn, so erklärt dies Gregor (2. Moral. 17.), „die geringeren, welche durch die Eselinnen bezeichnet werden, sollen in dem, was sie glauben, den größeren anhängen.“
b) Ich antwotte; die Erklärung und Entfaltung des zu Glaubenden vollzieht sich durch göttliche Offenbarung, denn die Glaubensgegenstände überragen die menfchliche Vernunft. Die göttliche Offenbarung aber gelangt in gewisser geregelter Stufenfolge durch die Höheren zu den Niedrigeren: zu den Menschen durch die Engel; zu den niedrigeren Engeln durch die höheren. (Vgl. Dionys. coel. hier. 4 et 7.) Und somit kommt auch die Erklärung des Glaubens zu den niedrigeren Menschen durch die höheren. Wie also die höheren Engel, von denen die Erleuchtung der niedrigeren ausgeht, eine eingehendere, vollendetere Kenntnis vom Göttlichen haben wie die niedrigeren; so sind auch die höheren unter den Menschen, deren Sache es ist, andere zu unterrichten, gehalten, eine eingehendere Kenntnis der zu glaubenden Punkte zu haben und somit mehr in ausdrücklicher Weise zu glauben.
c) I. Die Erklärung des zu Glaubenden ist nicht für alle gleichmäßig zum Heile notwendig; denn mehr wie die anderen sind gehalten zu wissen jene, welche unterrichten sollen. II. Die einfältigeren sollen nicht in den schwierigeren Punkten des Glaubens geprüft werden; außer wenn Verdacht besteht, sie seien von den Ketzern verdorben, welche gerade in verborgeneren, schwierigeren Teilen der Lehre die weniger Unterrichteten berücken. Letzteren aber wird eine solche Zustimmung zu ketzerischen Lehren nicht angerechnet, wenn sie nicht hartnäckig der verkehrten Ansicht anhängen. III. Soweit die Höheren der göttlichen Lehre anhängen, schließen in ihrem Glauben die Geringeren den ihrigen ein; wie es 1. Kor. 4. heißt: „Ahmet mir nach, wie ich Christum nachahme.“ Nicht also menschliche Kenntnis wird Glaubensregel, sondern die göttliche Wahrheit bleibt es. Dazu bleibt der Glaube der allgemeinen Kirche immer aufrecht, nach Luk. 22.: „Ich habe für dich gebetet, Petrus, daß dein Glaube nicht wanke.“
