Siebenter Artikel. In ausdrücklicher Weise an das Geheimnis der Menschwerdung Christi zu glauben, ist für das ewige Heil notwendig.
a) Dies scheint zu viel behauptet.Denn: I. Der Mensch ist nicht gehalten, das zu glauben, was selbst die Engel nicht wissen; da die Erklärung des Glaubens vermittelst der göttlichen Offenbarung geschieht, welche durch die Engel zu den Menschen gelangt, wie im Art. 6 und I. Kap. 111, Art. 1 gesagt worden. Die Engel aber waren in Unkenntnis rücksichtlich des Geheimnisses der Menschwerdung Christi; weshalb sie nach Ps. 23. fragen: „Wer ist der König der Herrlichkeit?“ und Isai. 63.: „Wer ist dieser, der von Edom kommt?“ (Vgl. Dionys. c. 7. de coel. hier.) Also waren die Menschen nicht verpflichtet, in ausdrücklicher Weise an die Menschwerdung Christi zu glauben. II. Der heilige Johannes der Täufer war jedenfalls von den Höheren und stand Christo im höchsten Grade nahe, so daß der Herr von ihm sagt: „Kein vom Weibe Geborener ist größer wie er.“ Er hat aber allem Anscheine nach das Geheimnis der heiligen Menschwerdung nicht gewußt; denn er läßt an Christum die Frage stellen: „Bist Du es, der da kommen soll oder sollen wir einen anderen erwarten?“ Also selbst die Höheren waren nicht verpflichtet, ausdrücklicherweise an das Geheimnis der Menschwerdung zu glauben. III. Viele Heiden haben durch den Dienst der Engel ihr Heil erlangt, wie Dionysius sagt.(9. coel. hier.) Diese aber glaubten weder ausdrücklich noch vermittelst des Glaubens anderer an Christum; denn keinerlei Offenbarung war ihnen geworden. Also ist der ausdrückliche Glaube an das Geheimnis der Menschwerdung zum Heile nicht notwendig. Auf der anderen Seite sagt Augustin de corr. et grat. 7.): „Jener Glaube ist ein gesunder, kraft dessen wir überzeugt sind, kein Mensch, weder jung noch alt, werde von der Ansteckung der Erbsünde und der Pest des Todes befreit außer durch den einen Mittler zwischen Gott und Menschen Jesum Christum.“
b) Ich antworte. Jenes sei an sich und eigentlich Gegenstand des Glaubens, wodurch der Mensch die Seligkeit erwirbt. Der einzige Weg zur Seligkeit aber ist das Geheimnis der Menschwerdung und des Leidens Christi, nach Act. 1.: „Kein anderer Name ist gegeben den Menschen unter dem Himmel, in welchem man das Heil erreichen könnte.“ Also in irgend welcher Weise mußte bei allen das Geheimnis der Menschwerdung Christi zu jeder Zeit geglaubt sein; freilich in verschiedener Form je nach der Verschiedenheit der Zeiten und der Personen. Denn vor der Sünde hatte der Mensch im Glauben Kenntnis von dem Geheimnisse der Menschwerdung, insoweit es Beziehung hatte zur Vollendung in der Herrlichkeit; nicht aber insoweit es hingeordnet war zur Befreiung von der Sünde vermittelst des Leidens und der Auferstehung, denn der Mensch wußte seine Sünde nicht vorher. Deshalb heißt es da (Gen. 2, 24.): „Um dessentwillen wird der Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Gattin anhängen;“ was der Apostel (Ephes. 5.) „ein großes Sakrament nennt in Christo und in der Kirche.“ Dieses Sakrament nicht gekannt zu haben, ist rücksichtlich des ersten Menschen nicht wahrscheinlich. Nach der Sünde ward ausdrücklicherweise das Geheimnis der Menschwerdung geglaubt, auch mit Rücksicht auf die Befreiung von der Sünde und vom Tode vermittelst des Leidens und der Auferstehung. Denn sonst hätten die heiligen Vorväter dieses Geheimnis des Leidens Christi nicht figürlich ausgedrückt in den Opfern, sowohl vor als auch unter dem Gesetze. Die Bedeutung dieser Opfer nun kannten klar und ausdrücklich die größeren unter dem Volke. Die geringeren aber glaubten unter der Hülle der betreffenden Opfer, diese letzteren seien von Gott angeordnet als Zeichen auf den zukünftigen Christus hin und hatten somit eine verhüllte Kenntnis. Und zwar erkannten sie das, was sich auf die Geheimnisse Christi bezog, desto klarer und ausdrücklicher, je näher sie Christo der Zeit nach standen. Nach der Zeit der offenbar gewordenen Gnade aber sind die höheren und geringeren verpflichtet, ausdrücklicherweise an die Geheimnisse Christi zu glauben, zumal mit Rücksicht auf das, was in der Kirche festlich begangen wird, und auf die Artikel, welche öffentlich vorgestellt werden. Tiefere Lehren über diese Geheimnisse müssen einzelne mehr oder minder kennen, je nachdem sie nach ihrem Stande und Amte berufen sind, andere zu unterrichten.
c) I. Nicht ganz und gar war den Engeln das Geheimnis des Reiches Gottes verborgen, wie Augustin (5. de Gen. ad litt. 19.) darthut. Betreffs einzelner Gründe und Beziehungen aber erkannten sie es besser zu jener Zeit, als Christus es in aller Fülle offenbarte. II. Der heilige Johannes der Täufer hatte bereits das genannte Geheimnis öffentlich bekannt, nach Joh. 1.: „Ich habe geschaut und Zeugnis gegeben, daß dieser ist der Sohn Gottes.“ Deshalb läßt er nicht die Frage stellen: „Bist Du es, der Du gekommen bist?“, sondern: „Bist Du es, der da kommen soll?“ Auch das ist nicht wahr, daß er nicht gewußt hätte, der Herr sei gekommen, damit Er leide; denn bereits hatte er, der Täufer, gesagt (Joh. 1.): „Siehe, das Lamm Gottes, welches hinwegnimmt die Sünden der Welt,“ womit er sein zukünftiges Opfer am Kreuze voraussagte. Zudem hatten dies Alles frühere Propheten auch gewußt und geweissagt, wie aus Isai. 53. hervorgeht. Deshalb kann man mit Gregor d. Gr. hom. 6. in Evgl.) antworten, der Täufer hätte die Frage stellen wollen, ob der Herr in eigener Person in die Vorhölle hinabsteigen werde. Das wußte er aber, daß die Kraft des Leidens Christi sich bis auf die Altväter in der Vorhölle erstrecken werde, nach Zachar. 9.: „Du auch hast im Blute Deines Testamentes herausgesandt aus dem Sumpfe jene, die da gebunden waren; aus jenem Sumpfe, wo kein Wasser ist.“ Und das brauchte Johannes nicht ausdrücklicherweise zu glauben, bevor es geschehen war, daß der Herr in eigener Person in die Vorhölle hinabsteigen werde. Oder man kann mit Ambrosius sagen (in Luc. c. 7. Et annunciaverunt, Johannes hätte nicht gefragt, als ob er selbst zweifelte oder nichts davon wüßte; sondern vielmehr aus Hingebung, damit er Gelegenheit biete, anderen die Sendung des Herrn bekannt zu machen. Oder es kann Chrysostomus recht haben (57. in Matth.), der da meint, Johannes hätte mit dieser Anfrage gewollt, daß Christus selber die Zweifel seiner Schüler beschwichtige; und deshalb habe der Herr zur Belehrung der gesandten Schüler auf seine Zeichen und Wunder gewiesen. III. Vielen Heiden war die Offenbarung betreffs Christi geworden. So sagt Job 19.: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.“ Nach Augustin (13. C. Faust. 15.) weissagte auch die Sibylle Manches über Christum. In der Römergeschichte wird zudem gefunden, daß zur Zeit des Kaisers Konstantin (V. oder VI., nicht des Großen) und seiner Mutter Irene ein Orab entdeckt worden ist, wo ein Mann lag ein goldenes Schild auf der Brust mit der Inschrift: „Christus wird von einer Jungfrau geboren werden; und ich glaube an Ihn. O Sonne, zu den Zeiten Irenes und Konstantins wirst du mich wieder sehen.“ (Baron. ad a. 760.) Sind aber manche gerettet worden, ohne daß ihnen eine Offenbarung über Christum geworden wäre, so wurden sie doch nicht gerettet ohne Glauben an den Mittler. Denn hatten sie auch nicht in ausgedrückter Weise diesen Glauben, so war derselbe doch eingeschlossen im Glauben an die göttliche Vorsehung, kraft dessen sie die gläubige Überzeugung hatten, Gott werde in der Ihm wohlgefälligen Weise der Befreier der Menschen sein; — und insofern einige der heilige Geist in ihrem Innern belehrte, nach Job 35.: „Der da uns belehrt weit hinaus über die Tiere des Feldes;“ d. h. weit über die sinnliche Natur hinaus.
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