Zehnter Artikel. Der Beweggrund, der zum Glauben anleitet, vermindert unter gewissen Bedingungen nicht das Verdienst des Glaubens.
a) Es scheint, daß ein solcher Beweggrund immer das Verdienst des Glaubens vermindert. Denn: I. Gregor der Große (26. in Evgl.) sagt: „Der Glaube hat kein Verdienst, wenn die menschliche Vernunft ihn durch die Erfahrung bereits festhält.“ Stellt also die Vernunft ganz und gar durch Erfahrung das fest, was der Glaube lehrt, so schließt sie ganz und gar das Verdienst des Glaubens aus. Jeder Grund also, der da, wie auch immer, hinleitet zu dem vom Glauben Vorgestellten, mindert im selben Maße das Verdienst des Glaubens. II. Die Gründe der Vernunft vermindern offenbar den Charakter der Tugend selber des Glaubens; denn zur Natur des Glaubens gehört es, daß er auf das „Nichterscheinende“ (Hebr. 11.) sich richtet. Je mehr aber Gründe für eine Wahrheit beigebracht werden, desto mehr erscheint diese. Also vermindert die Vernunft das Verdienst des Glaubens; denn „die Glückseligkeit ist verdient von der Tugend,“ sagt Aristoteles. III. Was dem Glauben widerstreitet wie die Verfolgung oder Versuchung, welche Gründe gegen den Glauben geltend macht, vermehrt das Verdienst. Also was dem Glauben hilft, vermindert das Verdienst. Auf der anderen Seite heißt es I. Petr. 3.: „Seid immer bereit, einem jeden, der es fordert, Rechenschaft zu geben, von dem Glauben und von der Hoffnung in euch.“ Dazu würde der Apostel nicht ermahnm, wenn Gründe das Verdienst des Glaubens verminderten.
b) Ich antworte, der Glaubensakt sei verdienstvoll, auch mit Rücksicht auf die Zustimmung. Die menschliche Vernunft kann sich nun in zweifacher Weise mit ihren Gründen für den Gegenstand des Glaubens zum Willen des Gläubigen verhalten. 1. Sie kann vorhergehen; wie wenn jemand, der nicht den Willen hätte zu glauben oder nicht die Bereitwilligkeit dazu, sich nur durch die Vernunft zur Zustimmung veranlaßt sähe; und so vermindert die menschliche Vernunft das Verdienst des Glaubens in eben der Weise wie im Bereiche des Moralischen eine Leidenschaft, die dem Tugendakte vorhergeht, dessen Verdienst mindert. (I., I. Kap. 24, Art. 3 ad I.) Denn wie der Mensch auf Grund der Vernunft sich in der Tugend üben soll, nicht auf Grund einer Leidenschaft, so soll er auch nicht der Glaubenswahrheit zustimmen auf Grund eines Beweises, sondern wegen der göttlichen Autorität. 2. Dann kann die Vernunft dem Glaubensakte oder dem Willen des Glaubenden folgen. Denn hat der Mensch die Bereitwilligkeit, um zu glauben; so denkt er gern über den Glauben nach und ist zufrieden, wenn er einige Gründe dafür, auch in der Natur, finden kann. Und nach dieser Seite hin ist die menschliche Vernunft vielmehr ein Zeichen größeren Verdienstes als daß sie das Verdienst minderte. So ist auch im Moralischen die Leidenschaft, welche der Tugend folgt, das Zeichen größerer Tugendkraft. Und das bedeuten die Worte bei Joh. 4, 42., wo die Samaritaner zur Frau, welche die menschliche Vernunft darstellt, sagen: „Nicht allein wegen deiner Rede glauben wir nunmehr.“
c) I. Gregor spricht vom ersterwähnten Falle. Hat jedoch jemand den festen, bereiten Willen, um zu glauben, was vorgestellt wird, rein kraft der göttlichen Autorität; so schwindet weder noch wird vermindert das Verdienst des Glaubens, wenn er auch streng beweisende Gründe für einen Glaubenspunkt hat, wie z. B. dafür, daß Gott ist. II. Jene Gründe, welche dazu anleiten, sich der Autorität des Glaubens zu unterwerfen, sind keine solchen Beweise, welche den Gegenstand des Glaubens zum Gegenstände geistigen Schauens machen; das zu Glaubende hört damit nicht auf, „nicht-erscheinend“ zu sein. Derartige Gründe entfernen nur die Hindernisse für den Glauben, indem sie zeigen, es sei nicht unmöglich, was zu glauben vorgestellt wird. Dadurch wird das Verdienst des Glaubens nicht minder oder gar zu nichte; und ebenso hört damit nicht der Wesenscharakter des Glaubens auf. Beweise jedoch, welche darthun nicht zwar die Glaubensartikel selber, sondern was den Glauben direkt vorbereitet, wie z. B. das Dasein Gottes, vermindern wohl den Wesenscharakter der Tugend des Glaubens; denn sie machen, daß das nun „erscheint“ oder geschaut wird, was vorliegt. Sie mindern aber nicht den Wesenscharakter der Liebe, kraft deren der Wille bereit ist, dies auf die Autorität Gottes hin zu glauben, wenn es auch nicht „erschiene“ und so wird das Verdienst nicht gemindert. III. Was dem Glauben widerstreitet, sei es die Versuchung im Menschen sei es die Verfolgung außen, vermehrt insoweit das Verdienst des Glaubens als nun der Wille sich mehr bereitwillig und fester im Glauben zeigt. Deshalb also haben die Märtyrer größeres Verdienst im Glauben, weil sie trotz der Verfolgungen vom Glauben nicht abwichen. Und die Weisen haben größeres Verdienst, weil sie trotz der Gründe der Philosophen und Häretiker gegen den Glauben von diesem sich nicht entfernten. Was aber im Gegenteil dem Glauben zukömmlich ist, das vermindert nicht immer die Bereitwilligkeit des Willens zu glauben und somit vermindert es nicht das Verdienst.
