Erster Artikel. Die Begriffsbestimmung: „Der Glaube ist die Substanz oder Grundlage der zu hoffenden Dinge, der Beweis des Nicht-Erscheinenden“, ist zukömmlich.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Keine Eigenschaft ist die Substanz oder der innere Grund für das Sein eines Dinges. Der Glaube ist aber als ein Zustand eine bloße Eigenschaft. Also darf er nicht als Substanz bezeichnet werden. II. Das zu Hoffende ist Gegenstand der Hoffnung; also nicht des Glaubens. III. Der Glaube wird weit mehr durch die Liebe vollendet und geformt wie durch die Hoffnung; ist ja doch die Liebe die Form des Glaubens. Also mußte besser gesagt werden: „der zu liebenden Dinge.“ IV. „Substanz“ und „Beweis“ gehören durchaus verschiedenen Seinsarten an. Also müssen nicht beide in ein und dieselbe Definition gesetzt werden. Unzulässigerweise wird somit der Glaube „Substanz“ genannt und zugleich „Beweis“. V. Der Beweis offenbart, macht erscheinen die Wahrheit. Also ist das hier ein innerer Widerspruch: nämlich die Zusammenstellung von „Beweis“ und „des Nicht-Erscheinenden“. Auf der anderen Seite steht die Autorität von Hebr. 11, 1.
b) Ich antworte, einige halten wohl dafür, der Apostel gebe hier keine strenge Begriffsbestimmung des Glaubens. Wer jedoch recht zusieht, wird finden, daß alle Elemente, aus denen der Glaube definiert werden kann, sich hier zusammenfinden, obgleich die äußere Form nicht die einer wirklichen Definition ist. Zuvörderst muß deshalb berücksichtigt werden, daß der Glaube als ein Zustand definiert werden müsse vermittelst des ihm entsprechenden Aktes und mit Beziehung auf den eigenen Gegenstand. Der Akt des Glaubens nun ist „glauben“; und dieser Akt gehört der Vernunft an, soweit letztere zur Zustimmung hinbewegt wird durch den Befehl des Willens. Der Glaubensakt also hat Beziehung sowohl zum Gegenstande des Willens, zum Guten und zum Zwecke; wie zum Gegenstande der Vernunft, dem Wahren. Und weil als theologische Tugend der Glaubensakt ganz das Nämliche zum Gegenstande hat und zugleich zum Zwecke, so muß der Gegenstand des Glaubens und sein Zweck sich wechselseitig entsprechen.(Vgl. I., II. Kap. 92, Art. 3.) Nun ist die erste Wahrheit der Gegenstand des Glaubens, insofern sie nicht geschaut ist; und ebenso bildet den Gegenstand des Glaubens Alles das, dem man auf Grund der ersten Wahrheit zustimmt. Danach also steht die erste Wahrheit selber zum Akte des Glaubens im Verhältnisse des Zweckes, auf Grund dessen daß sie nicht geschaut ist; was das Wesen des Gehofften ausmacht, denn „wir hoffen, was wir nicht sehen,“ heißt es Röm. 8. Die Wahrheit nämlich schauen besagt ebensoviel als sie besitzen; wer aber etwas besitzt, der erhofft es nicht. (I., II. Kap. 67, Art. 8.) So wird also die Beziehung des Glaubensaktes zum Zwecke, welcher Gegenstand des Willens ist, ausgedrückt mit den Worten: „Der Glaube ist die Substanz der zu hoffenden Dinge.“ Denn Substanz nennt man den ersten Beginn irgend welchen Dinges; und zumal wenn das ganze folgende Ding im ersten Beginn, im ersten Princip, der Kraft nach enthalten ist. So sagen wir, die ersten unbeweisbaren Principien seien die Substanz der Wissenschaft; denn das Erste, was von der Wissenschaft in uns ist, sind dergleichen Principien und in ihnen ist dem Vermögen oder der Kraft nach die ganze Wissenschaft enthalten. In der nämlichen Weise nun heißt es hier, der Glaube sei „die Substanz der zu hoffenden Dinge.“ Denn der erste Beginn der zu hoffenden Dinge ist in uns kraft der Zustimmung, die vom Glauben kommt, welcher der Kraft nach Alles was wir hoffen in sich enthält. Auf Grund dessen nämlich hoffen wir, beseligt zu werden, weil wir offen schauen werden jene Wahrheit, welcher wir jetzt kraft des Glaubens anhangen. (Vgl. I., II. 3, Art. 8.) Die Beziehung nun des Glaubensaktes zum Gegenstande der Vernunft, insoweit dieser der Gegenstand des Glaubens ist, wird ausgedrückt mit den Worten: „Beweis des Nicht-Erscheinenden“. Denn kraft des Beweises hängt jemand einer Wahrheit fest an; also die feste Zustimmung der Vernunft zur Glaubenswahrheit wird „Beweis“ genannt. Deshalb hat ein anderer Text (Aug. tract. 79. in Joan.) anstatt argumentum Beweis, convictio Überzeugung; denn durch die Autorität Gottes wird die Vernunft des glaubenden überzeugt, um fest dem anzuhängen, was sie nicht schaut. Wollte jemand also dem Apostolischen Texte die Form einer Definition geben, so würde er sagen: „Der Glaube ist ein Zustand des Geistes, wodurch in uns das ewige Leben begonnen wird und der da macht, daß die Vernunft fest zustimmt dem Nicht-Erscheinenden.“ Dadurch wird der Glaube unterschieden von allem Anderen, was der Vernunft angehört. Denn durch den Ausdruck „Beweis“ wird der Unterschied angegeben zwischen dem Glauben und der bloßen Meinung, dem Mutmaßen, dem Zweifel; da in allem diesem keine feste Zustimmung der Vernunft sich findet. Durch das „Nicht-Erscheinende“ wird der Glaube unterschieden vom Wissen und vom Verständnisse, die sich auf etwas Erscheinendes richten. Durch den Zusatz „der zu hoffenden Dinge“ ist der Unterschied gegeben vom gewöhnlichen Glauben; denn dieser hat keine Beziehung zur erhofften Seligkeit. Alle anderen Definitionen sind nur Erläuterungen zu dieser Apostolischen. Denn Augustin (40. in Joan.; lib. 2. QQ. evang. 9, 39.) erklärt: „Der Glaube ist eine Tugend, kraft deren geglaubt wird, was man nicht schaut.“ Und Damascenus (4. de orth. fide 12.): „Der Glaube ist eine Zustimmung, die nicht auf Grund einer Untersuchung gegeben wird.“ Andere sagen: „Der Glaube ist eine gewisse Sicherheit der Seele, die Abwesendes betrifft und mehr ist als bloßes Meinen, weniger wie Wissen.“ Das Alles aber ist das Nämliche wie das, was der Apostel sagt: „Der Beweis des Nicht-Erscheinenden.“ Die Worte des Dionysius aber (7. de div. nom.): „Der Glaube ist das dauernde Fundament der Gläubigen, welches sie auf die Wahrheit stellt und in ihnen selbst die Wahrheit zeigt“ bedeuten dasselbe wie der Ausdruck Pauli: „Die Substanz der zu hoffenden Dinge.“
c) I. „Substanz“ ist hier nicht in dem Sinne genommen, wonach eine von allen anderen geschiedene Seinsart damit bezeichnet wird, im Gegensatze also zu allen Zuthaten oder Accidentien; — sondern insoweit überall, in jeder Seinsart, etwas der Substanz Ähnliches gefunden wird; insoweit nämlich das Erste in jeder Seinsart, was der Kraft nach alles Übrige in sich enthält, dessen Substanz genannt wird. II. Der Glaube gehört der Vernunft an, soweit diese vom Willen aus bestimmt wird. Also wird er, wie zum Zwecke, zu den Gegenständen jener Tugenden hingeordnet, durch welche der Wille vollendet wird; und unter diesen Tugenden ist die Hoffnung. (Vgl. unten Kap. 18, Art. 1.) Deshalb steht in dieser Definition der Gegenstand der Hoffnung. III. Die Liebe kann sich auf Geschautes und Nicht-Geschautes, auf Gegenwärtiges und Abwesendes erstrecken; und somit steht hier besser die Hoffnung erwähnt, welche nur Abwesendes, Nicht-Geschautes zum Gegenstande hat. IV. „Substanz“ und „Beweis“ schließen hier nur verschiedene Beziehungen ein und desselben Aktes zu verschiedenen Gegenständen ein. V. Der Beweis, der von den eigenen Principien aus geführt wird, macht, daß die Sache erscheint, geschaut wird. Der Beweis, der von der göttlichen Autorität her genommen wird, macht nicht, daß die Sache an und für sich, in ihrer inneren Natur geschaut wird oder erscheint; und von einem solchen Beweise ist hier die Rede.
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