Sechster Artikel. Die Gabe des Verständnisses ist unterschieden von den anderen Gaben des heiligen Geistes in der Vernunft.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Wenn die Gegensätze zu gewissen Dingen ein und dasselbe sind, so sind auch diese Dinge selbst nicht verschieden. Nun sagt Gregor (2. moral. 26.): „Der Weisheit steht entgegen die Thorheit, dem Verständnisse die Stumpfheit, dem Rate die Übereilung, dem Wissen die Unkenntnis.“ Stumpfheit, Übereilung, Unkenntnis aber ist nichts Anderes wie Thorheit. Also ist auch das Verständnis ein und dasselbe wie die übrigen Gaben. II. Das Verständnis als Tugend in der Vernunft unterscheidet sich von den anderen Tugenden in der Vernunft dadurch, daß seinen Gegenstand die von der Natur der Vernunft selbst dargebotenen allgemeinen Grundprincipien bilden. Darum handelt es sich aber bei der Gabe des Verständnisses nicht. Denn für den Bereich der Natur genügt der Zustand des natürlichen Verständnisses, für den Bereich des Übernatürlichen genügt der Glaube; sind ja doch die Glaubensartikel die Fundamentalprincipien für die übernatürliche Kenntnis. Also ist da von einem Unterschiede der Gabe des Verständnisses von den anderen Gaben des heiligen Geistes nicht die Rede. III. Alle andere Kenntnis ist entweder rein beschaulich oder auf das praktische Thätigsein gerichtet und läßt danach in sich einen Unterscheidungsgrund zu. Die Gabe des Verständnisses aber ist zugleich beschaulich und dient dem Handeln, läßt also von sich aus leinen Unterscheidungsgrund zu. Auf der anderen Seite wird die Gabe des Verständnisses mit und neben den anderen genannten Gaben des heiligen Geistes bei Isai. 11. aufgezählt.
b) Ich antworte, der Unterschied zwischen der Gabe des Verständnisses einerseits und der „Frömmigkeit“, der „Stärke“ und der „Furcht“ andererseits sei offenbar; denn diese drei letzteren sind in dem „begehrenden Teile“. Der Unterschied aber mit Rücksicht auf die Gaben der „Weisheit“, der „Wissenschaft“, des „Rates“ ist nicht so offenbar; denn diese drei sind ebenfalls in der Vernunft wie das Verständnis. Manche nun hielten dafür, diese letztgenannten zwei richteten sich auf das Thätigsein, das Verständnis aber sei rein beschaulich; so zwar, daß die Weisheit das endgültige Urteil fälle, während das Verständnis bloß durchdringe bis ins Innere. (I., II. Kap. 68, Art. 4.) Wer jedoch genau zusieht, findet, daß die Gabe des Verständnisses sich auch auf das thätige Leben erstreckt, wie bereits gesagt worden; und ebenso ist die Gabe der Wissenschaft beschaulich und dem Thätigsein zugleich dienend. Deshalb muß man anders sagen. Alle diese vier Gaben nämlich haben Beziehung zur übernatürlichen Kenntnis, die durch den Glauben vermittelt wird. „Der Glaube nun ist vom Hören.“ Derselbe bezieht sich zu allererst auf die erste, die Urwahrheit; dann auf manches Kreatürliche und endlich auf die Regelung der menschlichen Thätigkeiten, da er „durch die Liebe wirkt.“ Demnach muß 1. das Gehörte kraft des Verständnisses durchdrungen werden oder aufgefaßt; und dazu dient die Gabe des Verständnisses. Es muß 2. der Mensch darüber sich ein richtiges Urteil bilden, daß er nämlich urteile, er solle anhängen und vom Gegenteile sich entfernen. Dieses Urteil gehört mit Rücksicht auf die göttlichen Dinge der Gabe der Weisheit zu; mit Rücksicht auf das Kreatürliche der Gabe der Wissenschaft; mit Rücksicht auf die einzelne Thätigkeit der Gabe des Rates.
c) I. Dieser Unterschied entspricht durchaus den Worten Gregors. Denn der Stumpfheit steht entgegen das Scharfe; also der Scharfsinn, der dem Verständnisse entspricht. Ein Thor ist jener, der über den gemeinsamen Zweck des menschlichen Lebens ein verkehrtes Urteil hat; was der Weisheit widerspricht, welche über die allgemeine erste Ursache alles Seins recht urteilt. Die Unkenntnis schließt einen Mangel an Einzelkenntnissen in der Vernunft ein; und steht so entgegen der Wissenschaft, die in den Stand setzt, ein richtiges Urteil über die besonderen einzelnen Ursachen im Bereiche des Geschöpflichen zuhaben. Der Rat aber steht offenbar entgegen der Übereilung, die ohne vorgängiges Erwägen vorgeht. II. Der Glaube stimmt den ersten Grundprincipien der übernatürlichen Kenntnis zu; das Verständnis durchdringt das Gehörte. III. Nicht mit Rücksicht auf das Urteil, sondern auf die richtige Erfassung des Gehörten erstreckt sich die Gabe des Verständnisses, auf rein Beschauliches und auf das Thätigsein.
