Vierter Artikel. Nicht jedes werk des Ungläubigen ist Sünde.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. „Alles, was nicht aus dem Glauben ist, das ist Sünde,“ heißt es Röm. 14.; wozu die Glosse bemerkt: „Das ganze Leben der Ungläubigen ist Sünde.“ II. Der Glaube leitet die Absicht. Es kann aber kein gutes Werk geben, wenn nicht die Absicht gut ist. Also kein Werk der Ungläubigen ist gut. III. Der Glaubensakt geht allen übrigen Tugendakten vorher. Ist aber das Vorhergehende, Maßgebende verdorben; so auch das Nachfolgende, Geregelte. Da also in einem Ungläubigen kein Akt des Glaubens ist, so können die Ungläubigen auch kein gutes Werk vollbringen, sondern sündigen in jedem Werke. Auf der anderen Seite steht Act. 10. geschrieben, daß die Almosen des Cornelius, trotzdem derselbe noch im Unglauben sich befand, Gott angenehm waren. Also sind nicht alle Thätigkeiten eines Ungläubigen Sünde.
b) Ich antworte, die Todsünde nehme zwar die Gnade hinweg, nicht aber verderbe sie durchaus das in der Natur selber befindliche Gute. Da also der Unglaube eine Todsünde ist, so entbehren die Ungläubigen wohl ganz und gar der heiligmachenden Gnade; aber es bleibt in ihnen manches Gute der Natur. Somit können die Ungläubigen wohl keine Werke thun, die aus der Gnade hervorgingen und demgemäß verdienstlich wären; wohl aber können sie jene guten Werke thun, wozu das Gute in der Natur hinreichend ist. Also ist es nicht erforderlich, daß sie in jedem ihrer Werke sündigen, nur wenn sie auf Grund ihres Unglaubens etwas thun, dann sündigen sie. Denn wie ein Glaubender bisweilen Sünde thun kann in der Thätigkeit, die er nicht auf Gott bezieht, und zwar eine läßliche oder eine Todsünde; so kann der Ungläubige manchmal etwas Gutes thun, was er nicht auf den Zweck des Unglaubens bezieht.
c) I. Das Leben der Ungläubigen kann nicht ohne Sünde sein, da die Sünde nur vermittelst des Glaubens getilgt wird; oder was sie infolge ihres Unglaubens und geleitet von selbem thun, das ist immer Sünde. Deshalb sagt Augustin (4. c. Julian. 3.): „Denn jeder, der ungläubig lebt oder wirkt, sündigt im höchsten Grade.“ II. Der Glaube leitet die Absicht mit Rücksicht auf das übernatürliche Gute; das natürliche Licht der Vernunft aber kann die Absicht leiten rücksichtlich eines natürlichen Gutes. III. Der Unglaube verdirbt nicht ganz und gar die natürliche Vernunft; und so kann der Ungläubige, weil er Wahres kennt, auch demgemäß etwas Gutes thun. Cornelius aber war nicht ungläubig; sonst wären seine Almosen nicht Gott angenehm gewesen, dem „ohne Glauben niemand gefallen kann.“ Er hatte aber keinen ausdrücklichen, sondern einen ln den Figuren und Weissagungen des Alten Testamentes eingeschlossenen Glauben, ehe die Wahrheit des Evangeliums offenbar geworden. Damit ihn eben Petrus im Glauben unterrichte, sandte ihn ja Gott zu Petrus.