Zehnter Artikel. Über die ungläubige Obrigkeit.
a.) Ungläubige können Obere oder Herrscher für Gläubige sein. Denn: I. 1. Tim. 6. ermahnt der Apostel: „Wer auch immer das Joch eines Knechtes trägt, der soll seinen Herrn aller Ehre wert halten;“ und daß er von ungläubigen Herren spricht, geht aus dem Folgenden hervor: „Wer einen Herrn aber hat, der ebenfalls gläubig ist, der soll ihn nicht verachten.“ Und 1. Petr. 2. heißt es ausdrücklich: „Knechte! Seid gehorsam in aller Furcht eueren Herren; nicht nur guten und bescheidenen, sondern auch schlechten.“ Also dürfen Ungläubige über Gläubige gebieten. II. Manche Gläubige waren aus der Familie ungläubiger Herrscher, nach Phil. 4.: „Es grüßen euch alle Heiligen, zumal jene, die aus dem Hause des Kaisers sind;“ nämlich Neros. Also mußten sie Ungläubigen gehorchen. III. 1. Polit. 3. heißt es: „Der Knecht dient dem Herrn in dem, was zum menschlichen Leben gehört; wie das Werkzeug des Künstlers dient zur Kunstthätigkeit.“ Darin aber kann der Gläubige dem Ungläubigen unterworfen sein; die Gläubigen können z. B. Pächter sein. Auf der anderen Seite gehört es dem Oberen an, zu urteilen über seine Untergebenen. Paulus aber sagt (1. Kor. 6.): „Wagt es jemand von euch, der eine Klage hat gegen einen anderen, sein Recht zu suchen bei den Ungläubigen und nicht bei den Gläubigen?“ Also Ungläubige können gegenüber den Gläubigen keine Vorsteher sein.
b) Ich antworte, über diesen Punkt könne man in zweifacher Weise sprechen. Denn es kann sich darum handeln, eine Vorsteherschaft oder eine Herrschaft Ungläubiger über Gläubige von neuem aufzustellen; und das darf nicht geschehen. Denn der Glaube würde daraus Schaden nehmen. Leicht nämlich zieht der Obere den Untergebenen zu seinem Glauben, wenn nicht die Untergebenen sehr stark sind in der Tugend. Und ebenso verachten die Ungläubigen den Glauben, wenn sie die Fehler der Gläubigen sehen. Die Kirche also erlaubt dies nicht, daß eine Herrschaft Ungläubiger über Gläubige von neuem errichtet werde oder daß irgendwie ein Ungläubiger Gläubigen vorstehe. Dann kann es sich handeln um eine bereits bestehende Vorsteherschaft oder Herrschaft. Da ist nun zu erwägen, daß ein solcher Vorrang besteht gemäß dem menschlichen Rechte; der Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen aber ist nach dem göttlichen Rechte. Wie aber die Gnade die Natur nicht zerstört, so das göttliche Recht nicht das menschliche. Also der Unterschied von „gläubig“ und „ungläubig“ hebt an und für sich die Herrschaft Ungläubiger über Gläubige nicht auf. Kraft des Spruches und der Anordnung der Kirche aber, welcher die Gewalt und Autorität Gottes anvertraut ist, kann ein solches Recht den Ungläubigen genommen werden; denn wegen ihres Unglaubens Gott gegenüber verdienen die Ungläubigen, ihre Gewalt über die Gläubigen, die zu Kindern Gottes geworden sind, zu verlieren. Dies thut die Kirche nun bisweilen; und bisweilen thut sie es nicht. Denn bei jenen Ungläubigen, welche der Kirche und deren Gliedern, auch der zeitlichen Herrschaft gemäß, unterworfen sind, hat sie als Recht festgestellt, daß, wenn ein Sklave der Juden Christ wird, er auch dadurch seine Freiheit erlangt, ohne einen Preis dafür zu zahlen; mag er in der Sklaverei geboren oder mag er gekauft worden sein. Darin thut die Kirche niemandem unrecht. Denn da die Juden im Bereiche dieser Gebiete in zeitlicher Weise der Kirche Unterthan sind, kann sie über deren Eigentum in der genannten Weise verfügen; wie ja auch sonst zeitliche Fürsten viele Gesetze gegeben haben zu gunsten der Freiheit ihrer Untergebenen. In jenen Gebieten aber, wo die Kirche oder ihre Glieder keine zeitliche Herrschaft ausüben, hat die Kirche erwähntes Recht nicht aufgestellt, obwohl sie die Vollmacht dazu hätte; damit sie kein Ärgernis gebe. So zeigt ja auch der Herr bei Matth. 17., daß er des Tributes sich entledigen könnte, weil die Söhne frei sind; er gebot jedoch, den Zinsgroschen zu geben, um Ärgernis zu vermeiden. Deshalb sagt auch Paulus (l. c. in I.), nachdem er die Knechte ermahnt hatte, ihren Herren zu gehorchen: „Damit nicht gelästert werde der Name Gottes.“
c) I. Ist damit beantwortet. II. Jene Herrschaft des römischen Kaisers existierte vor demUnterschiede von „gläubig“ und „ungläubig“. Also wurde sie nicht getilgt durch die Bekehrung einiger zum Glauben. Und es war nützlich, daß in der nächsten Umgebung des Kaisers selber Christen waren, damit sie die anderen Gläubigen schützen könnten. So stärkte z. B. Sebastianus die Herzen der Christen, von denen er wahrnahm, daß sie in der Marter schwach wurden; und er selbst war noch verborgen im Hause Diokletians unter der Uniform des Offiziers. III. Die Sklaven sind den Herren Unterthan für das ganze Leben und ähnlich die Untergebenen den Vorgesetzten. Die Handlanger oder Werkzeuge der Künstler aber dienen nur zu einer gewissen Kunstthätigkeit. Also ist es gefahrvoller Knecht oder Untergebener eines Ungläubigen zu sein, wie einen Dienst bei einem solchen auszuüben. Deshalb erlaubt die Kirche, daß Christen die Acker von Juden bebauen, denn deshalb ist es nicht notwendig mit letzteren zusammenzuleben. So erbat sich auch Salomo vom Könige von Tyrus Werkmeister, um die Hölzer zu behauen, nach 3. Kön. 6. Folgt aber, auch aus solchem Verhältnisse, eine Gefahr für den Glauben der Christen; so ist dasselbe zu lösen.
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