Erster Artikel. Im Alten Bunde brauchten keine Gebote rückstchtlich des Glaubens dem Volke gegeben zu werden.
a) Das Gegenteil wird bewiesen: I. Ein Gebot betrifft das, was gebührend und notwendig ist. Der Glaube ist aber im höchsten Grade notwendig; denn „ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ (Hebr. 11.) Also mußten im Alten Bunde Gebote über den Glauben gegeben werden. II. Das Neue Testament ist im Alten enthalten, wie das Bezeichnete im Zeichen oder in der Figur. Im Neuen Testamente aber stehen ausdrückliche Gebote über den Glauben: „Ihr glaubet an Gott und glaubet an mich.“ (Joh. 14.) Also mußten auch im Alten Bunde dergleichen Gebote sein. III. Im Alten Testamente stehen viele Gebote, die den Unglauben verbieten, wie: „Du sollst nicht fremde Götter neben mir haben;“ und ebenso Deut. 13., „sie sollen nicht auf Propheten und Traumgesichte hören, die da vom Glauben sie abbringen wollen.“ Also mußte auch der Glaube positiv geboten werden. IV. Das Bekenntnis ist ein Akt des Glaubens. (Kap. 3, Art. 1.) Darüber und über das Offenbarmachen des Glaubens werden aber Gebote gegeben; wie Exod. 12., daß sie ihren Kindern die Bedeutung der Osterfeier darlegen sollen, und Deut. 13., daß man jenen töten solle, der eine falsche Lehre aussäe. Also mußte das Alte Gesetz auch Gebote über den Glauben selbst enthalten. V. Alle Bücher des Alten Testamentes sind im Alten Gesetze enthalten. Deshalb sagt der Herr bei Joh. 15., in ihrem Gesetze sei geschrieben; „Mit Haß haben sie mich ohne Grund verfolgt.“ Ekkli. 2. aber heißt es: „Die ihr Gott fürchtet, glaubet Ihm.“ Also mußten im Alten Gesetze Gebote gegeben werden über das zu Glaubende. Auf der anderen Seite nennt der Apostel (Röm. 3.) das Alte Gesetz „das Gesetz der Werke“ und stellt es gegenüber dem „Gesetze des Glaubens“.
b) Ich antworte, ein Gesetz werde von dem betreffenden Herrn seinen Untergebenen aufgelegt; und deshalb setzen die Vorfchriften eines Gesetzes voraus die Unterthänigkeit dessen, der das Gesetz empfängt gegenüber jenem, der das Gesetz giebt. Die erste Unterthänigkeit nun des Menschen Gott gegenüber ist durch den Glauben, nach Hebr. 11.: „Wer zu Gott herantritt, muß glauben, daß Gott ist.“ Also wird der Glaube von den Vorschriften des Gesetzes vorausgesetzt; und deshalb wird Exod. 20. das, was Sache des Glaubens ist, vorausgeschickt den Geboten, wenn gesagt wird: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus Ägypten;“ und ähnlich wird Deut. 6. vorausgeschickt: „Höre, Israel; der Herr, dein Gott, ist ein einiger Gott;“ und dann erst beginnen die Gebote. Weil aber im Glauben Vieles enthalten ist, was zu dem Glauben, daß Gott ist, dem ersten leitenden Glaubenspunkte also, hingeordnet erscheint und dazu in Beziehung steht; — deshalb können, nachdem einmal der Glaube an Gott vorausgefetzt ist, durch den der Menschengeist Gott unterthan wird, auch Gebote gegeben werden über andere Punkte, die da Gegenstand des Glaubens sind; wie Augustin (tract. 83. in Joan.) zu: Hoc est praeceptum meum) erklärend bemerkt, daß sehr viele Punkte uns als zu glauben geboten sind. Im Alten Gesetze waren nun einzelne Glaubensgeheimnisse dem Volke nicht mitzuteilen; und deshalb wurden, nachdem einmal der Glaube an einen einigen Gott zu Grunde gelegt war, keine weiteren ins Einzelne gehenden Glaubensvorschriften gegeben.
c) I. Der Glaube ist das Princip des geistigen Lebens; er wird deshalb vom Alten Gesetze vorausgesetzt. II. Auch da setzt der Herr den Glauben an einen einigen Gott vor aus: Creditis in Deum; und dann schreibt Er vor das Geheimnis der Menschwerdung zu glauben, wodurch Er Mensch und Gott zugleich ist, was zum Neuen Testamente gehört. III. Die Verbote befassen sich mit den Sünden, welche die Tugend verderben. Die Tugend aber wird durch viele besondere Mängel verdorben. Nachdem also der Glaube an einen Gott zu Grunde gelegt war, werden Verbote gegeben, das Alles zu vermeiden, was dieses Fundament schwächen konnte. IV. Das Bekenntnis und Ahnliches setzt wieder das gelegte Fundament des Glaubens bereits voraus. Also wurden vielmehr Gebote gegeben rücksichtlich der Darlegung des Glaubens vor dem Volke wie über den Glauben selbst. V. Auch diese Stelle setzt den Glauben als Fundament voraus. Deshalb heißt es: „Die ihr Gott fürchtet;“ — und das „Glaubet ihm“ geht auf das zuversichtliche Vertrauen auf die Verheißungen Gottes, so daß folgt: „Euer Lohn wird nicht zu Schanden werden.“
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