Erster Artikel. Die Hoffnung ist eine Tugend.
a) Sie ist keine Tugend. Denn: I. „Der Tugend bedient sich niemand zu etwas Schlechtem;“ sagt Augustin. (2. de lib. arbitr. 18.) Die Hoffnung aber mißbraucht man; denn in der Leidenschaft, die man Hoffnung nennt, giebt es eine richtige Mitte und zwei einander entgegengesetzte Übertreibungen. II. Keine Tugend geht von vorgängigen Verdiensten aus; denn „die Tugend wird von Gott wohl in uns, aber ohne uns gewirkt.“ (Aug. sup. Ps. 118. feci judicium.) Die Hoffnung aber kommt von der Gnade und von den Verdiensten, wie es 26. dist. 3. lib. Sent. heißt. III. Die Tugend ist eine gewisse Verfassung im vollendeten. Die Hoffnung gehört dem unvollendeten an, der nämlich nicht hat, was er hofft. Also ist sie keine Tugend. Auf der anderen Seite sagt Gregor (1. moral. 28.): „Durch die drei Töchter Jobs werden diese drei Tugenden bezeichnet.“
b) Ich antworte, da „die Tugend gut macht den, der sie hat, und ebenso seine Thätigkeit vollendet,“ so müsse da, wo sich eine gute Thätigkeit des Menschen findet, auch eine menschliche Tugend ihr entsprechen. Das Gute aber in allen Dingen, die einer Richtschnur und Regel von außen her unterliegen, besteht darin, daß sie der Regel und Richtschnur entsprechen. Da nun für die menschlichen Handlungen einerseits Gott die Regel und zwar die entferntere ist (I., II. Kap. 8, Art. 3 ad III.), andererseits als die nähere die menschliche Vernunft dasteht; so ist jeder menschliche Akt, der diese Richtschnur, sei es die nähere sei es die entferntere, erreicht, etwas Gutes. Der Akt der Hoffnung nun, von der jetzt die Rede, erreicht Gott selber. Denn der Gegenstand der Hoffnung im allgemeinen ist ein schwer erreichbares aber mögliches Gut: möglich entweder kraft der eigenen Fähigkeiten oder möglich zu erreichen durch andere. (3 Ethic. 3.) Soweit wir also hoffen, etwas mit dem Beistande Gottes zu erreichen, stützt sich unsere Hoffnung auf Gott selbst und erreicht somit Gott. Also ist die Hoffnung eine Tugend; denn sie macht, daß unsere entsprechende Thätigkeit gut ist d. h. die Richtschnur, Gott selber, erreicht.
c) I. Bei den Leidenschaften liegt die rechte Mitte darin, daß die Regel der gesunden Vernunft erreicht wird; und darin besteht auch der Wesenscharakter der Tugend. Also ist auch in der Hoffnung das Gute der Tugend darin, daß die Richtschnur, welche gebührt, Gott nämlich selbst, erreicht wird. Solcher Hoffnung nun kann niemand schlecht sich bedienen wie auch keiner moralischen Tugend, welche der Regel der Vernunft folgt; denn eine derartige Richtschnur erreichen ist eben der gute Gebrauch der Vernunft. Zudem ist die Hoffnung, von der hier gesprochen wird, nicht die Leidenschaft, welche man Hoffnung nennt; sondern ein Zustand des vernünftigen Geistes. II. Man sagt, die Hoffnung entstehe aus Verdiensten, weil man hofft, die Seligkeit als Gegenstand derselben auf Grund von Verdiensten zu erlangen. Der Zustand der Hoffnung selber aber, kraft dessen jemand die Seligkeit erwartet, wird nicht aus Verdiensten verursacht, sondern aus der Gnade allein. III. Jener, welcher hofft, ist wohl unvollkommen mit Rücksicht auf das, was er zu erlangen hofft; er ist aber vollendet auf Grund dessen daß er die eigens entsprechende Regel, nämlich Gott, erreicht, auf dessen Beistand er sich stützt.
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