Dritter Artikel. Das freventliche oder vermessene Vornehmen ist mehr der Hoffnung entgegen wie der Furcht.
a) Das Gegenteil wird behauptet und folgendermaßen bewiesen: I. Das freventliche Vornehmen gehört zur Regellosigkeit der Furcht. Denn Sap. 17. heißt es: „Immer nimmt sich Freventliches vor das verwirrte Gewissen,“ …. „die Furcht leistet Hilfe dem freventlichen Vornehmen.“ Also ist das freventliche Vornehmen vielmehr der Furcht entgegengesetzt wie der Hoffnung. II. Im Gegensatze zu einander stehen jene Dinge, die am meisten voneinander entfernt sind. Das freventliche Vornehmen aber ist weiter entfernt von der Furcht wie von der Hoffnung; denn es schließt in sich ein die Bewegung zu etwas hin und hat das also gemein mit der Hoffnung, während die Furcht Bewegung ist von etwas hinweg. Also. III. Das freventliche Vornehmen schließt ganz und gar die Furcht aus; nicht aber ebenso vollständig die Hoffnung, sondern nur die geregelte Hoffnung. Also ist es mehr entgegengesetzt der Furcht wie der Hoffnung. Auf der anderen Seite stehen zwei einander entgegengesetzte Laster einer einzigen Tugend gegenüber, wie die Furchtsamkeit und die Verwegenheit der Stärke. Das freventliche Vornehmen aber steht entgegen der Verzweiflung, die direkt der Hoffnung entgegengesetzt ist. Also ist auch das freventliche Vornehmen in erster Linie der Hoffnung entgegengesetzt.
b) Ich antworte, daß nach Augustin (4. contra Julian. 3.) „allen Tugenden nicht nur Laster offenbar entgegengesetzt sind wie der Klugheit die Verwegenheit; sondern auch benachbart sind ihnen manche Laster, nicht zwar in Wahrheit, aber gemäß einem gewissen täuschenden Scheine, wie der Klugheit die Schlauheit nahe zu stehen scheint.“ Und dasselbe sagt Aristoteles (Ethic. 8.), daß die Tugend nämlich mehr Verwandtschaft zu haben scheine mit dem einen der ihr entgegengesetzten Laster wie mit dem anderen; z. B. die Mäßigkeit mit der Gleichgültigkeit oder Abgestumpftheit, die Stärke mit der Verwegenheit. So nun ist der Furcht in einer allen offenbaren Weise entgegengesetzt das freventliche Vornehmen; denn die Furcht, zumal die knechtische, richtet sich auf die Strafe seitens der Gerechtigkeit Gottes und das freventliche Vornehmen hofft ohne weiteres den Nachlaß dieser Strafe. Dem äußeren täuschenden Scheine nach aber ist das freventliche Vornehmen wohl ähnlich der Hoffnung; jedoch ist es ihr in Wahrheit durchaus entgegengesetzt, denn es schließt Regellosigkeit der Hoffnung in sich ein. Und da nun unmittelbarer zwei Dinge einander entgegengesetzt sind, die in der „Art“ übereinkommen, als solche, die verschiedenen „Arten“ angehören, so ist das freventliche Vornehmen unmittelbarer entgegengesetzt der Hoffnung wie der Furcht. Denn beide berücksichtigen den nämlichen Gegenstand, worauf sie sich stützen: die Hoffnung aber in geregelter, das freventliche Vornehmen in ungeregelter Weise.
c) I. Das freventliche Vornehmen wird wie die Hoffnung mit Rücksicht auf etwas Gutes ausgesagt; gelegentlich nur und nebenbei einmal, eigentlich mißbräuchlich, mit Rücksicht auf etwas Schlechtes; und so wird die Regellosigkeit der Furcht als freventliches Vornehmen bezeichnet. II. Das freventliche Vornehmen und die Hoffnung sind Bewegungen oder Thätigkeiten in ein und derselben „Art“; und innerhalb dieser „Art“ sind sie sich am meisten entgegengesetzt, nämlich wie geregelt und ungeregelt. III. Der Gegensatz von Furcht und freventlichem Vornehmen ist in der „Art“; der von Hoffnung und freventlichem Vornehmen ist ein Gattungsunterschied innerhalb ein und derselben „Art“.
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