Dritter Artikel. Die geistige Trauer ist eine schwere Sünde.
a) Dies ist nicht der Fall. Denn: I. Es besteht kein Gebot, das diese Trauer verbiete. II. Von einem geistigen Gute zurücktreten, indem man nichts thatsächlich, um es zu erlangen, thut, ist keine Todsünde. Sonst würde ja jeder schwer sündigen, der die evangelischen Räte nicht beobachtete. Also im Herzen von einem solchen geistigen Gute zurücktreten, wie das die Trauer thut, kann ebenfalls keine Todsünde sein. III. Keine Todsünde ist in den vollkommenen Seelen. Kassian aber sagt (l. c. c. 1.): „Die Einsiedler sind in höherem Grade von der geistigen Trauer betroffen; sie ist für die Wüstenbewohner ein häufigerer und lästigerer Feind.“ Auf der anderen Seite heißt es 2. Kor. 7.: „Die weltliche Trauer wirkt den Tod.“
b) Ich antworte, Todsünde werde eine Sünde deshalb genannt, weil sie das Leben der Seele hinwegnimmt, welches von der Liebe kommt. Welche Sünde auch immer also in ihrer ganzen „Art“, an und für sich, der heiligen Liebe zuwider ist, das ist eine Todsünde. Da nun die geistige Trauer unmittelbar der eigensten Wirkung der heiligen Liebe, der Freude am göttlichen Gute nämlich, entgegensteht, so ist sie ihrer ganzen „Art“ nach eine Todsünde. Dabei ist jedoch zu erwägen, daß solche Sünden nur dann wirklich Todsünden sind, wenn sie als vollendete dastehen. Die Vollendung einer menschlichen Sünde aber besteht in der Zustimmung der Vernunft. Fängt also eine solche Sünde bloß an im sinnlichen Teile und gelangt nicht zur vollen Zustimmung der Vernunft, so ist da wegen des Unfertigen im Akte nur läßliche Sünde. So ist ja die Bewegung in der Sinnlichkeit im Bereiche der „Art“ Ehebruch, sobald diese Bewegung da stehen bleibt, nur läßliche Sünde; und erst wenn die Vernunft voll zustimmt, wird es eine Todsünde. Bleibt also die Bewegung der geistigen Trauer in der Sinnlichkeit stehen wegen des Widerspruches des Fleisches zum Geiste, so ist sie nur läßliche Sünde. Stimmt aber die Vernunft bei zur Flucht, zum Schrecken, zum Abscheu vor dem göttlichen Gute, so ist da offenbar Todsünde.
c) I. Das dritte Gebot befiehlt die Ruhe des Geistes in Gott. Dagegen sündigt die geistige Trauer. II. Die geistige Trauer flieht nicht vor jedem geistigen Gute, sondern präcis vor dem göttlichen, dem der Geist notwendig anhängen muß. Wenn also jemand traurig ist über das, was er wegen Gott thun muß, das ist die geistige Trauer; nicht um jedes geistige Gut handelt es sich. III. Unfertige Bewegungen zur Trauer hin finden sich in geistigen Männern, wozu die Vernunft nicht beistimmt.
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