Erster Artikel. Der Neid ist eine Trauer.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Der Gegenstand der Trauer ist etwas Übles; dagegen bildet den Gegenstand des Neides ein Gut. Denn Gregor (5. moral. 31.) sagt vonu neidischen: „Den sich verzehrenden Geist verwundet seine eigene Strafe, da ihn fremdes Glück quält.“ II. Die Ähnlichkeit ist nicht so sehr Ursache der Trauer wie der Freude. Aristoteles aber schreibt (2 Rhet. 10.): „Jene fühlen Neid, denen andere ähnlich sind mit Rücksicht auf das Geschlecht, von dem sie abstammen; oder auf die Kenntnis, oder auf die Natur oder gemäß einem Zustande oder einer Meinung.“ Neid ist also keine Trauer. III. Die Trauer kommt von einem Mangel her, so daß jene, die mit einem großen Mangel behaftet sind, mehr zur Trauer geneigt erscheinen. Jene aber, denen Manches, wenn auch Weniges fehlt, und welche ehrliebend sind oder für weise erachtet werden, sind neidisch, nach Aristoteles. (2 Rhet.) IV. Die Trauer steht der Ergötzung gegenüber. Da also das Andenken an einst besessene gute Zustände Ergötzen verursacht (I.) II. Kap. 32, Art. 3), so wird es nicht Ursache der Trauer sein. Es ist aber Ursache des Neides; denn Aristoteles sagt (l. c.): „Auf jene sind andere neidisch, die da besitzen, was ihnen, den ersten, zukommt, oder was sie einst besessen haben.“ Also ist der Neid keine Trauer. Auf der anderen Seite bestimmt Damascenus (2. de orth. fide 14.): „Der Neid ist eine Trauer über die Vorzüge anderer.“
b) Ich antworte, Gegenstand der Trauer sei das eigene Übel. Es kommt aber vor, daß man das, was andere Gutes haben, als ein Übel für sich selber auffaßt; und danach kann man traurig sein wegen des Guten in anderen. Dies geschieht nun: 1. wenn jemand über den Vorzug in einem anderen traurig ist, weil ihm daraus Schaden erwächst oder die Gefahr von Schaden droht, wie wenn einer traurig wird über die Zunahme an Macht im Feinde, weil er darum für sich selber fürchtet; und das ist kein Neid, sondern eine Wirkung der Furcht; — 2. insofern jemand das Gute im anderen als ein Übel für sich selbst erachtet, weil dieses Gute den eigenen Ruhm schmälert; und danach ist die Trauer über etwas Gutes im anderen Neid. Deshalb sind die Menschen zumal wegen jener Güter auf andere neidisch, mit denen Ruhm und Anerkennung verbunden ist. (2 Rhet. 10.)
c) I. Was gut für den einen ist, kann als Übel für den anderen aufgefaßt werden. II. Da der Neid zumal den Ruhm des anderen zum Gegenstande hat, wegen dessen die Schmälerung des eigenen Ruhmes, den man begehrt, eintritt, so ist es folgegemäß, daß jene Vorzüge zumal beneidet werden, in denen man sich dem anderen gleich oder höher als dieser wähnt. Deshalb hat der Neid nicht statt mit Rücksicht auf jene, die weit entfernt stehen, wie ein König z. B. keinen Bauern beneidet, da er weit über ihm erhaben ist. Man beneidet zumal jene, die nahe stehen, die Verwandten z. B., denen man gleich sein oder die man überragen will. Wenn diese mehr Anerkennung ernten, so ist dies gegen unseren Willen; und damit haben wir Trauer. Die Ähnlichkeit verursacht dagegen Ergötzen, wenn sie unserem Willen entspricht. III. Wo jemand weit zurücksteht, da hat er keinen Neid. Wo aber seinem Bemühen das Gelingen und die entsprechende Anerkennung um ein Weniges fehlt, da wird er traurig, wenn er sieht, daß es dem anderen ge lungen ist. Die ehrsüchtigen sind darum mehr zum Neide hingeneigt; und ebenso die kleinmütigen, denen Alles als bedeutend erscheint; und wenn jemandem etwas Geringes gelingt, meinen sie schon, sie seien in etwas Großem überwunden worden. Deshalb sagt Gregor zu Job 5, 2. Parvulum occidit invidia (5. moral. 31.): „Nur jene beneiden wir, von denen wir meinen, sie seien in irgend etwas höher wie wir.“ IV. Die Erinnerung an das besessene Gute verursacht Ergötzen, in soweit es besessen worden; sie verursacht Trauer, insoweit das Gute verloren worden; sie verursacht Neid, insoweit nun andere dieses Gute haben. Deshalb sagt Aristoteles (l. c.): „Die Greise beneiden die Jünglinge; und jene, die viel aufgewendet haben, um etwas zu erreichen, beneiden jene, welche das Nämliche mit geringer Mühe erlangen.“
