Zweiter Artikel. Der Neid ist eine Sünde.
a) Dagegen spricht: I. Hieronymus, der da (ad Laetam) schreibt: „Sie soll Genossinnen haben, mit denen zusammen sie lerne, wen sie beneiden möge.“ Keiner soll aber die Sünde lernen. II. Damascenus (l. c.), der da sagt: „Der Neid ist Trauer über das Gute in anderen.“ Das kann aber manchmal lobwert sein. Denn Prov. 29. heißt es: „Wenn die gottlosen die Herrschaft erlangt haben werden, wird das Volk seufzen. III. Der Neid ist ein gewisser Eifer. Mancher Eifer ist aber gut, nach Ps. 68.: „Der Eifer Deines Hauses hat mich verzehrt.“ IV. Der Neid ist eine Strafe, nach Gregor (5. moral. 31.): „Wenn die Fäulnis des Neides das besiegte Herz verdorben hat, so zeigt das Äußere selber an, wie schwer die Thorheit die Seele quält. Die Farbe nämlich wird blaß, die Augen gedrückt, der Geist entflammt sich, die Glieder erkalten, in den Gedanken ist die Wut, in den Zähnen Knirschen.“ Also ist der Neid keine Schuld. Auf der anderen Seite steht Gal. 5.: „Seien wir nicht begierig nach eitlem Ruhme, indem wir uns gegenseitig reizen, gegenseitig uns beneiden.“
b) Ich antworte, der Neid sei eine Trauer über das Gute in anderen. Eine solche Trauer kann nun in vier verschiedenen Weisen stattfinden: 1. insofern jemand aus der Zunahme der Vorzüge im anderen Schaden für sich oder auch für andere fürchtet; eine solche Trauer ist kein Neid. Deshalb schreibt Gregor (22. moral. 6.): „Es pflegt gemeinhin vorzukommen, daß, ohne den Verlust der heiligen Liebe in uns, der Sturz unseres Feindes uns erfreut, und dessen Ruhm uns, ohne Neid in uns, betrübt; weil wir meinen, sein Sturz werde der Anlaß sein, daß manche sich zum Guten aufrichten, oder sein Fortschritt werde zur Folge haben die ungerechte Bedrückung vieler.“ Es kann jemand 2. betrübt sein über das Gute im anderen; nicht gerade weil derselbe dieses Gute hat, sondern weil es uns fehlt; und das ist im eigentlichen Sinne der Eifer. Ist dieser Eifer auf das wahre Gute gerichtet, so ist er lobenswert, nach 1. Kor. 14.: „Eifert nach Geistigem.“ Ist er aber auf Zeitliches gerichtet, so kann er wohl manchmal sündhaft sein, aber manchmal auch nicht sündhaft. Es kann 3. jemand trauern über das Gute in einem anderen, weil dieser dessen unwürdig ist; und dieses Letztere kann nun nicht auf Grund von Tugenden sein, durch welche ja der sie hat gerecht wird, also deren nicht unwürdig sein kann; sondern nur vorübergehende zeitliche Güter kann jemand besitzen, ohne deren würdig zu sein, wie z. B. Reichtum, Ehren etc.; diese Trauer wird „Unwille“ genannt und gehört zu den guten Sitten nach Aristoteles. Nach dem Glauben aber erkennen wir, wie Gottes Vorsehung dies Alles regelt, die da den Bösen gerechterweise zeitliche Güter manchmal verleiht zu ihrer Besserung oder zu ihrer Verdammnis; den Guten aber ewige Güter aufbewahrt, im Vergleich mit denen die zeitlichen wie ein Nichts dastehen. Solche Trauer also ist uns untersagt, nach Ps. 36.: „Eifere nicht den Bösen nach und sei nicht neidisch auf jene, die Bosheit thun;“ und ebenso Ps. 72.: „Fast sind meine Schritte ausgeglitten, da ich den Frieden der Sünder sah.“ Es ist endlich 4. jemand traurig über das Gute im anderen, insoweit dieser ihn selbst überragt; und das ist eigentlich Neid, der immer sittlich schlecht ist; denn es schmerzt ihn das Gute im Nächsten, worüber er sich freuen sollte. (2 Met. 10.)
c) I. „Neid“ steht da für „Eifer“, Fortschritte zu machen zusammen mit den besseren. II. Da ist die ersterwähnte Art Trauer gemeint, III. Der „Eifer“ kann manchmal gut sein; der Neid ist immer schlecht. IV. Mit Rücksicht auf eine Zuthat kann eine Sünde auch zugleich Strafe sein.
