Sechster Artikel. Die siebente Seligkeit entspricht der Gabe der Weisheit.
a.) Dem widersprechen folgende Gründe: I. „Friedfertig sein“ und „Kind Gottes sein“ gehört Beides der heiligen Liebe an.“ Vom Frieden nämlich heißt es Ps. 118.: „Reicher Frieden denen, die Dein Gesetz lieben;“ und von der Kindschaft Gottes sagt Paulus (Röm. 5.): „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Geist, der uns gegeben worden,“ nämlich „den Geist der Gotteskindschaft, in welchem wir rufen: Abba, Vater.“ (Röm. 8.) II. Die nächste Wirkung der Weisheit ist die heilige Liebe, nach Sap. 7.: „Durch die Nationen hindurch überträgt sich die Weisheit in heilige Seelen und macht Freunde Gottes und Propheten.“ Friede und Gotteskindschaft sind nun jedenfalls erst entferntere Wirkungen, da sie einzig vermittelst der Liebe von der Weisheit ausgehen. Also muß die Seligkeit, welche der Weisheit entspricht, vielmehr die Liebe sein wie Friede und Gotteskindschaft. III. Jakob. 3. heißt es: „Die Weisheit von oben ist zuerst schamvoll, dann friedlich, bescheiden, leicht zu überreden, allem Guten zustimmend, voll von Barmherzigkeit und guten Früchten, urteilend ohne Heuchelei.“ Der Friede ist also nicht mit größerem Rechte die der Weisheit entsprechende Seligkeit wie die anderen Wirkungen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (1. de serm. Dom. 4.): „Die Weisheit kommt den friedfertigen zu, in denen keine rebellische Bewegung ist, sondern Alles der Vernunft gehorcht.“
b) Ich antworte, sowohl das Verdienst wie der Lohn in der siebenten Seligkeit komme der Gabe der Weisheit entsprechend zu. Denn „friedfertig“ werden genannt, die in sich oder auch in anderen Frieden herstellen; und dies Beides geschieht dadurch, daß Alles der gebührenden Regel unterworfen und so Ordnung gemacht wird. „Frieden ist“ ja nach Augustin „die Ruhe der Ordnung“. Ordnen nun ist eben wesentlich Sache der Weisheit. „Kinder Gottes“ aber werden jene genannt, die und insoweit sie an der Ähnlichkeit mit dem Eingeborenen Sohne Gottes teilnehmen, nach Röm. 8.: „Die Er vorherwußte, daß sie gleich-förmig seien dem Bilde seines Sohnes.“ Der Sohn Gottes nun ist die erzeugte Weisheit. Wer also an der Gabe der Weisheit teilnimmt, der gelangt zur Gotteskindschaft.
I. Der Liebe kommt es zu, Frieden zu haben; ihn ordnend herzustellen ist Sache der Weisheit. Und der heilige Geist wird der Geist der Gotteskindschaft genannt, insoferne durch Ihn uns die Ähnlichkeit verliehen wird mit dem Sohne, „der erzeugten Weisheit“.
II. Da ist die Rede von der ungeschaffenen Weisheit, die zuerst sich mit uns vereint durch das Geschenk der heiligen Liebe und von da aus die Geheimnisse kennen lehrt, deren Erkenntnis die eingeflößte Weisheit ist. Die Gabe der Weisheit also ist nicht die Ursache der Liebe; sondern vielmehr deren Wirkung.
III. In der Regelung menschlicher Thätigkeit, welche ja Sache der Weisheit ist, kommt zuerst die Entfernung jener Übel, die der Weisheit entgegenstehen. Deshalb wird die Furcht „der Anfang der Weisheit“ genannt; denn sie lehrt die Übel vermelden. Und der Friede ist ihr Ende; denn da erscheint Alles in die gehörige Ordnung gebracht. Der Apostel Jakobus also giebt in durchaus zulässiger Weise an, daß die Weisheit, „welche von oben kommt“, die nämlich eine Gabe des heiligen Geistes ist, zuerst „schamhaft“ ist, weil sie das Verderben der Sünde vermeidet, dann „friedfertig“, was die letzte Wirkung der Weisheit ist und somit als Seligkeit dasteht. Alle jene Wirkungen aber, die nun folgen, machen in gebührender Ordnung nur offenbar, durch welche Mittelstufen hindurch die Weisheit zum Frieden führt. Denn der Mensch, der vermittelst der Scham von dem Verderben der Sünde zurücktritt, muß zuerst Maß halten in Allem, soweit es auf ihn ankommt; und dafür steht: „bescheiden“. Dann muß er in dem, wozu seine Kräfte nicht ausreichen, den Belehrungen der anderen sich fügen; deshalb steht: „leicht zu überreden“. Diese beiden Wirkungen tragen dazu bei, daß der Mensch zum Frieden in sich selbst gelangt. Damit er aber zum Frieden mit den anderen gelangt, muß er dem, was diese Gutes haben, nicht widerstreiten; deshalb steht: „dem Guten zustimmend“; — dann muß er Mitleid haben mit den Mängeln anderer; deshalb steht: „voll von Barmherzigkeit und guten Früchten“; — ferner, daß er in Liebe die anderen zu bessern weiß, wenn sie sündigen; deshalb steht: „urteilend ohne Heuchelei“; daß er nämlich nicht unter dem Vorwände zu bessern, seinen Haß befriedigen möchte.
