Fünfter Artikel. Alle, die im Stande der Gnade sind, besitzen die Gabe der Weisheit.
a) Dies scheint falsch. Denn: I. Mehr ist es, Weisheit haben, wie Weisheit hören. Nur Sache der vollkommenen Seelen aber ist es, Weisheit zu hören: „Unter den vollkommenen Seelen sprechen wir Weisheit;“ sagt Paulus. (1. Kor. 2.) Also. II. „Dem Weisen gehört es zu, daß sie urteilen,“ sagt Aristoteles (1 Metaph.); und bei Jakob. 3. heißt es vom Weisen: „urteilend ohne Heuchelei.“ Nur Sache der Vorsteher aber ist es, über andere zu urteilen und sie zu regeln. Also nicht alle, die im Stande der Gnade sind, haben die Gabe der Weisheit. III. „Weisheit wird verliehen gegen die Thorheit,“ schreibt Gregor. 12. moral. 26.) Viele aber, die getauft sind, sind von Natur stumpfsinnig oder dumm und haben trotzdem die Gnade. Auf der anderen Seite wird, wer ohne Todsünde ist, von Gott geliebt, weil er die heilige Liebe hat, kraft deren Gott liebt; denn „Gott liebt, die Ihn lieben.“ (Prov. 8.) Sap. 7. aber heißt es: „Gott liebt nur jenen, der mit der Weisheit zusammenwohnt.“ Also ist in allen, die im Stande der Gnade sind, die Gabe der Weisheit.
b) Ich antworte, da die Weisheit eine gewisse Geradheit im Urteilen über Göttliches, sei es um es zu betrachten sei es um als Richtschnur des Lebens zu dienen, einschließt, so seien je nach den verschiedenen Graden der Einigung mit Gott auch verschiedene Grade der Weisheit in den einzelnen. Manche nämlich erlangen diese Geradheit im Urteilen nach beiden Seiten hin nur in dem, was zum Heile notwendig ist; — und das fehlt niemandem, der im Stande der Gnade ist, wie l. Joh. 2. es heißt: „Die Salbung wird euch über Alles belehren.“ Denn wie die Natur im Notwendigen nicht mangelt, so auch um so weniger die Gnade. Andere erkennen rücksichtlich der reinen Betrachtung des Göttlichen Höheres und können es zudem anderen darlegen; ebenso können sie zudem mit Rücksicht auf die Leitung der menschlichen Thätigkeit nicht nur sich selbst leiten, sondern auch andere gemäß den Regeln der göttlichen Weisheit. Und dieser Grad der Weisheit ist nur einigen verliehen und zwar ist das mehr eine zum Besten anderer verliehene Gnade wie die heiligmachende; nach 1. Kor. 12.: „Anderen wird gegeben die Rede der Weisheit.“
c) I. Der Apostel spricht da von der Weisheit, die sich auf die Erkenntnis tieferer Geheimnisse erstreckt: „Wir sprechen Gottes Weisheit im Geheimnisse, die verborgen ist.“ II. Seine eigene Thätigkeit zum Heile hinleiten, ist Sache eines jeden.(Vgl. Dinys. ep. ad Demoph.) III. Die getauften Stumpfsinnigen etc. haben den Zustand der Weisheit; nicht aber dessen Gebrauch.
