Dritter Artikel. Die Nachlässigkeit kann Todsünde sein.
a) Das scheint unmöglich. Denn: I- Zu Job 9. (Verebar) sagt Gregor (9. moral. 17.): „Die geringere Liebe Gottes macht nachlässig.“ Die Todsünde aber nimmt die Liebe Gottes ganz fort. II. Zu Ekkli. 7. (De negligentia tua purga te) sagt die Glosse: „Wenn auch die Opfergabe klein ist, sie tilgt die Nachlässigkeit vieler Sünden.“ III. Für die Todsünden hat das Gesetz im Lev. Opfer anbefohlen; aber keine für die Nachlässigkeit. Auf der anderen Seite heißt es Prov. 19.: „Wer nachlässig ist auf seinem Wege, wird zu Grunde gehen.“
b) Ich antworte, die Nachlässigkeit komme von einem Mangel in der Vernunft, infolge dessen diese nicht vorschreibt was oder wie gehandelt werden soll. Ist also das, was unterlassen wird, etwas zum Heile Notwendiges, so ist eine solche Nachlässigkeit Todsünde. Oder ist der Wille bis zu dem Grade lässig rücksichtlich alles dessen, was Gott angeht, daß er von der heiligen Liebe Gottes ganz und gar abfällt, so ist da ebenfalls eine Todsünde vorhanden; zumal wenn die Nachlässigkeit von der Verachtung herrührt. In den anderen Fällen ist die Nachlässigkeit eine läßliche Sünde; — wenn also weder ein Umstand oder ein Akt unterlassen wird, der zum Heile notwendig ist, und wenn dies nicht aus Verachtung sondern aus einem gewissen Mangel an Liebesglut geschieht.
c) I. Ist die „geringere Liebe“ nur die mit der Natur gegebene Liebe Gottes, so ist die Nachlässigkeit eine Todsünde; ist sie nur ein Mangel in der übernatürlichen Liebesglut, so ist sie eine läßliche Sünde. II. Eine geringe in Demut und reiner Liebe dargebrachte Opfergabe tilgt nicht nur die läßlichen, sondern auch die Todsünden. III. Wann die Nachlässigkeit im Unterlassen des zum Heile Notwendigen besteht, so wird sie zu einer anderen besonderen Art und Gattung von Sünde. Die rein inneren Sünden sind aber mehr verborgen; so daß dafür keine Opfer angesetzt waren, die ja nur das öffentliche Bekenntnis des Abscheues vor der Sünde bildeten.
