Vierter Artikel. Das Vergehen ist schwerer, wenn die erwähnten Übel mit Unrecht an solchen Personen vollzogen werden, welche den anderen eigentlich gemeinten Personen nahestehen.
a) Das Gegenteil wird klar aus Folgendem: I. Derartige Übel haben den Charakter der Sünde, soweit jemandem gegen seinen Willen Schaden zugefügt wird. Mehr aber ist gegen den Willen des Menschen das Üble, was seiner eigenen Person zugefügt wird, wie jenes, was man einer ihr nahestehenden Person anthut. Also ist das einer solchen nahestehenden Person mit Unrecht zugefügte Übel eine geringere Sünde als wenn man es der Person selber anthut. II. Waisen und Witwen soll man nach Ekkli. 35, 17. besonders kein Unrecht thun; dies sind aber keine im obigen Sinne nahestehenden Personen. Also liegt darin kein erschwerender Umstand für die Sünde, daß man Per sonen unrecht thut, die der eigentlichen Person nahe stehen. III. Die nahestehende Person hat ihren eigenen Willen gleichwie die Hauptperson, weshalb für sie etwas dem Willen entsprechend sein kann, was gegen den Willen der eigentlichen Hauptperson ist; wie im Ehebruche, welcher wohl der Frau gefällt, aber nicht ihrem Manne. Derlei Unrecht aber trägt den Charakter der Sünde, soweit es dem Gemeinschaftlichen der betreffenden Personen entspricht. Also ist da an und für sich weniger Sünde, als wenn der eigentlichen Hauptperson Unrecht geschieht. Auf der anderen Seite wird als eine Erweiterung der Strafe im Deut. 28. gesagt: „Deine Söhne und deine Töchter werden einem anderen Volke überliefert werden und zwar vor deinen Augen.“
b) Ich antworte, je mehr ein angethaenes Unrecht mehrere Personen angeht, desto schwerer ist, falls alle übrigen Verhältnisse gleich bleiben, die Sünde. Daher kommt es, daß die Mißhandlung, die man an einem Fürsten begeht, eine schwerere Sünde ist, als die an einer Privatperson begangene; denn sie geht den ganzen Staat an. Wird aber zu Unrecht eines der erwähnten Übel einer der eigentlichen Person nahestehenden zugefügt, so geht dieses Unrecht zwei Personen an; und somit ist die Sünde eine größere, wenn nicht sonstige Umstände wie die hohe Stellung der betreffenden Person oder die Bedeutung des Schadens das gegen eine Person begangene Unrecht größer machen.
c) I. Das der nahestehenden Person zugefügte Unrecht schadet mehr dieser wie der eigentlichen Hauptperson, wenn es dieser unmittelbar, ohne Rücksicht auf die andere, angethan würde; nach dieser Seite hin ist es eine geringere Sünde. Jedoch dies Alles, was man der nahestehenden Person für Unrecht anthut, ist doch immer eine Zuthat zu jenem Unrecht, das der eigentlichen Person gilt; und danach ist in jedem Falle die Sünde schwerer. II. Das Waisen und Witwen angethaene Unrecht wird mehr hervorgehoben, weil es in höherem Grade zur Barmherzigkeit im Gegensatze steht und weil solche Personen niemanden haben, der sie erleichtert. III. Wenn die Gattin zum Ehebruche zustimmt, so wird das Unrecht, das man ihr anthut, geringer; denn schwerer wäre es, wenn man mit Gewalt dieselbe dazu gezwungen hätte. Das Unrecht, welches man dem Manne gegenüber verübt, wird aber dadurch nicht geringer; „denn nicht die Frau hat Gewalt über ihren Leib, sondern der Mann.“ (1. Kor. 7.) Und ebenso wird für ähnliche Fälle geantwortet. Über den Ehebruch übrigens, insoweit er nicht nur zur Gerechtigkeit, sondern auch zur Keuschheit im Gegensatze steht, siehe unten Kap. 154, Art. 8.
