Erster Artikel. Die Verkleinerung ist die Anschwärzung des guten Namens anderer vermittelst heimlicher Worte.
a) Diese Definition gilt nicht. Denn: I. „Offenbar“ und „heimlich“ sind nicht geeignet, einen Wesensunterschied in den Sünden herzustellen; es ist dies nämlich etwas Äußerliches für die Sünde, ob sie vielen bekannt sei oder wenigen. Also ist das „heimlich“ in der Definition überflüssig. II. Der gute Name bedeutet Öffentlichkeit. Also kann derselbe nicht leiden unter „heimlichen“ Worten. III. Wer verkleinert, zieht etwas ab, macht kleiner. Bisweilen aber schadet man dem guten Namen eines anderen, auch wenn man nichts von der Wahrheit abzieht. Also ist nicht alle Anschwärzung eines guten Namens Verkleinerung. Auf der anderen Seite heißt es Ekkle. 10.: „Wenn die Schlange in aller Stille beißt, so hat doch nichts vor ihr voraus jener, der heimlich verkleinert.“
b) Ich antworte, wie durch die That jemand dem anderen entweder offen schadet, wie im Raube und in jeder Gewaltthat; oder heimlich, wie im Diebstahl und Betrug; — so beleidigt jemand offen durch Schmähung, heimlich durch Verkleinerung. Daraus nun daß jemand offen den anderen schmäht, scheint hervorzugehen, daß er ihn gering achtet; und eben deshalb verunehrt er ihn. Wer aber heimlich gegen den anderen spricht, scheint diesen vielmehr zu fürchten als gering zu achten. Also verunehrt er ihn nicht unmittelbar, sondern er benachteiligt den guten Namen desselben; insofern er durch solche Worte, soweit es an ihm ist, darauf hinwirkt, daß andere eine schlechte Meinung über den betreffenden haben, gegen welchen er spricht. Denn das beabsichtigt er mit seinen Worten und darauf zielt er hin, daß ihm geglaubt werde. Also ist in zwei Punkten die Schmähung verschieden von der Verkleinerung. Denn der schmähende geht offen vor, der Verkleinernde heimlich; — und der erstere hat zum Zwecke, der Ehre des betreffenden zu schaden, also der Anerkennung seiner Vorzüge, der letztere aber will dessen gutem Namen schaden.
c) I. Im Bereiche der freiwilligen Tauschgerechtigkeit machen die Merkmale „öffentlich“ und „heimlich“ einen Wesensunterschied mit Rücksicht auf den dem Nächsten angethaenen Schaden. Denn einen anderen Wesenscharakter hat jenes Unfreiwillige, was in der offenen Gewalt seinen Grund hat; und einen anderen jenes Unfreiwillige, was auf der Unkenntnis beruht. (Kap. 65, Art. 4; I., II. Kap. 6, Art. 5 u. 8.) II. Die verkleinernden Worte werden heimliche genannt; nicht schlechthin, sondern mit Rücksicht auf jenen, über den sie gesagt werden, weil dieser nichts davon weiß. Wer also über jemanden in dessen Abwesenheit vor vielen schlecht spricht, der verkleinert; wer vor jenem selbst schlecht spricht, der schmäht, mag auch dieser geschmähte allein gegenwärtig sein. III. Nicht weil er die Wahrheit mindert, verkleinert jemand; sondern weil er den guten Ruf des betreffenden mindert. Dies geschieht direkt oder unmittelbar in vierfacher Weise: 1. wenn er Falsches dem anderen zulastlegt; — 2. wenn er die Sünde mit seinen Worten größer macht; — 3. wenn er Geheimes bloßlegt; — 4. wenn er das gethaene Gute als von schlechter Absicht herrührend kennzeichnet. Indirekt oder mittelbar geschieht es: 1. wenn er das Gute des anderen leugnet; 2. es boshafterweise verschweigt oder vermindert.
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