Erster Artikel. Es ist gestattet, einen Menschen zu beschwören.
a) Dies scheint nicht gestattet zu sein. Denn: I. Origenes (sup. Matth. tract. 55.) schreibt: „Ich erachte, ein Mann, der nach dem Evangelium leben will, dürfe nicht einen anderen beschwören. Denn ist es gemäß der evangelischen Vorschrift nicht erlaubt zu schwören, so folgt ohne Zweifel daraus, daß man auch niemanden beschwören darf. Und somit war es auch unerlaubt, daß der Hohepriester Jesum beim lebendigen Gotte beschwor.“ II. Wer jemanden beschwört, übt auf diesen gewissermaßen einen Zwang aus; was unerlaubt ist. III. Beschwören heißt jemanden zum Schwören veranlassen. Das kommt aber nur den Vorgesetzten zu, welche den untergebenen einen Eid auflegen können. Auf der anderen Seite beschwören wir Gott bei manchen heiligen Dingen. Der Apostel auch beschwört (Röm. 12.) die Gläubigen bei der Barmherzigkeit Gottes.
b) Ich antworte, wer da etwas eidlich verspricht, verpflichte sich selbst durch die Ehrfurcht vor dem göttlichen Namen, den er zur Bestätigung seines Versprechens gebraucht, um etwas zu thun; und er leitet sich auf diese Weise selber in unverrückbarer Weise dazu hin, daß er das Versprochene thue. Wie aber jemand sich selbst in dieser Weise hinleiten kann zu etwas, so kann er andere auch zu etwas hin bestimmen; die Oberen durch Gebet, die untergebenen durch Befehl. Wenn nun diese beiderseitige Hinleitung anderer zu etwas durch etwas Göttliches gekräftigt oder bestätigt wird, so nennt man dies: Beschwören. Schwören ist demgemäß unterschieden davon in der Art der auferlegten Verpflichtung, daß der Mensch wohl sich selber Notwendigkeit auferlegen kann, um etwas zu thun, denn er ist Herr seiner Handlungen; nicht aber kann er dies anderen gegenüber, denn er ist nicht Herr dessen, was andere aus freiem Willen thun; — höchstens kann er seinen untergebenen durch die Anrufung des göttlichen Namens Notwendigkeit auferlegen, denen er auch auflegen kann, einen Eid zu leisten. Will also jemand den anderen, der nicht sein untergebener ist, durch das Beschwören mit dem göttlichen Namen zu etwas zwingen, wie er sich selber durch den Eid zu etwas wahrhaft verpflichten kann, so ist dies unerlaubt; denn er maßt sich eine Gewalt an, die er nicht besitzt. Will er aber durch die Ehrfurcht vor dem Namen Gottes nur etwas vom anderen erhalten, so ist solches Beschwören mit Rücksicht auf alle beliebigen Personen gestattet.
c) I. Der Hohepriester maßte sich an, Jesum zu beschwören, damit er Ihn zur Aussage zwinge, als ob er Gewalt über Ihn hätte; und dies ist unerlaubt. II. Dies betrifft jenes Beschwören, was da Notwendigkeit auflegen oder verpflichten will. III. Wer beschwört, will nicht, daß der andere schwört; sondern er will mit der Ähnlichkeit des Schwörens jemanden dazu anleiten, daß er etwas thue oder unterlasse. Beschwören wir nun einen Menschen, so wollen wir durch die Achtung vor Heiligem seinen Willen ändern. Beschwören wir Gott, so wollen wir uns selber an seine Güte oder an seine Werke erinnern und so unser Vertrauen auf Ihn stärken.
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