Zweiter Artikel. Der Gottesraub ist eine eigene specielle Sünde.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Im Rechte (I. c.) heißt es: „Einen Gottesraub begehen jene welche gegen die Heiligkeit des Gesetzes etwas thun, es nachlässigerweise verletzen oder beleidigen.“ Das geschieht aber durch jede Sünde. II. Der Gottesraub ist bald Mord, wie wenn jemand einen Priester tötet; bald Unkeuschheit, wie wenn jemand eine gottgeweihte Person verletzt; bald Diebstahl etc. Also ist er nicht eine eigene, für sich bestehende Sünde. III. Jede eigene besondere Sünde findet sich bisweilen für sich allein getrennt von allen anderen; wie z. B. die Ungerechtigkeit. Der Gottesraub aber findet sich niemals für sich allein. Auf der anderen Seite steht der Gottesraub im Gegensatze zu einer besonderen Tugend, der Gottesverehrung. Also ist er eine besondere Sünde.
b) Ich antworte, wo ein specieller Grund für die Häßlichkeit einer Sünde ist, da müsse auch eine specielle Sünde angenommen werden. Im Gottesraube aber besteht ein solcher specieller Grund für die Häßlichkeit der Sünde; nämlich die Verunehrung einer gottgeweihten Sache. Also ist er eine specielle Sünde. Denn wie nach Damascenus (4. de orth. fide 3.) „der Purpur, wenn er königliches Kleid geworden, als solches geehrt und hochgehalten, und wer ihn zerreißt, mit dem Tode bestraft wird, als ob er gegen den König selbst handelte; so handelt auch jener, der eine heilige Sache verletzt, eben deshalb gegen die Gott geschuldete Ehrfurcht und sündigt so durch Irreligiosität.“
c) I. Von jenen heißt es, sie begingen einen Gottesraub an der Heiligkeit des Gesetzes, welche, wie die Häretiker und Gotteslästerer, das göttliche Gesetz selber an sich betrachtet bekämpfen. Weil sie nun Gott nicht glauben, haben sie die Sünde des Unglaubens; weil sie die Worte des Gesetzes verkehren, haben sie die Sünde des Gottesraubes. II. Eine specielle Sünde kann in mehreren Arten Sünde sich finden, insoweit mehrere Sünden auf den Zweck einer einzigen bezogen werden; wie dies auch bei den Tugenden sich findet, von denen eine mehreren befiehlt. Und so begeht jemand, in welcher „Art“ von Sünden auch immer er sich gegen die Ehrfurcht vor heiligen Sachen verfehlt, immer formal die Sünde des Gottesraubes und die anderen Sünden dienen dieser. III. Der Gottesraub findet sich bisweilen allein, ohne daß der sündhafte Akt eine andere Häßlichkeit hätte; wie wenn der Richter jemanden an einem heiligen Orte ergreifen läßt, welchen er hätte in anderen Orten erlaubterweise ergreifen lassen können.
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