Dritter Artikel. Die Hochachtung ist keine so hohe Tugend wie die Hingebung oder Pietät.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Der Fürst, dem gegenüber die Tugend der Hochachtung besteht, wird mit dem leiblichen Vater, dem Pietät geschuldet wird, verglichen wie der Lenker des Ganzen mit dem eines besonderen Teiles. Der erstere steht aber höher. Also ist dies auch mit der entsprechenden Tugend der Fall. II. Wer in Amt und Würde steht, trägt Sorge für das Gemeinbeste. Die blutsverwandten aber gehören zum Privatbesten, was man wegen des ersteren beiseite lassen muß, wie ja manche ihr Leben opfern zum Heile des Vaterlandes. Also ist die Hochachtung, welche den mit dem Gemeinbesten beschäftigten gezollt wird, eine höhere Tugend wie die Pietät. III. Ehre und Achtung gebührt nach Gott am meisten den tugendhaften. Ihnen gegenüber aber gilt die Tugend der Hochachtung. Auf der anderen Seite werden Gebote gegeben mit Rücksicht auf die Tugendakte. Gleich aber nach den drei ersten Geboten über Gott kommt das über die den Eltern zu erweisende Ehre; was der Pietät entspricht. Also kommt die Pietät an zweiter Stelle, gleich nach der Gottesverehrung oder Religion.
b) Ich antworte, den höher gestellten Personen könne etwas dargeboten werden 1. mit Rücksicht auf das Gemeinbeste, wenn z. B. jemand ihnen dient in der Verwaltung des Staates; und das gehört nicht mehr der Hochachtung an, sondern der Pietät oder Hingebung, welche nicht nur dem Vater gegenüber gilt, sondern auch dem Vaterlande gegenüber; — 2. mit Rücksicht auf ihren persönlichen Nutzen und Ruhm; und das gehört recht eigentlich der Hochachtung an, insoweit sie von der Hingebung verschieden ist. Also muß das Verhältnis der Hochachtung zur Hingebung oder Pietät erwogen werden gemäß den verschiedenen Beziehungen, welche die betreffenden verschiedenen Personen zu uns einnehmen und welche von einer der beiden Tugenden berücksichtigt werden. Nun sind die Eltern und blutsverwandten enger mit unserer Substanz verbunden wie die höher gestellten Personen; denn mehr gehört unserer Substanz an: die Erzeugung und Erziehung; wie die Leitung in gewissen äußeren Angelegenheiten. Also danach steht die Pietät höher wie die Hochachtung, weil sie Personen gegenüber sich geltend macht, die mit uns mehr verbunden, denen wir also mehr verplichtet sind.
c) I. Mit Bezug auf die Leitung in den äußeren Angelegenheiten steht der Fürst im gleichen Verhältnisse zum Vater wie der Leiter des Ganzen zum Leiter eines Teiles; nicht aber mit Bezug darauf, daß der Vater das Princip der Zeugung ist. In letzterer Beziehung steht die göttliche Kraft, die Alles zum Sein gebracht, zum Vater im Verhältnisse wie der Leiter des Ganzen zu dem des Teiles. II. Dies hat Bezug auf die Pietät; s. oben. III. Das Darbringen von Ehre steht nicht nur im Verhältnisse der Person, welcher Ehre dargebracht wird an sich betrachtet, sondern auch mit Rücksicht auf jene, welche die Ehre darbringen. An sich betrachtet freilich sind die tugendhaften mehr der Ehre wert wie die Eltern und hochgestellten. Diesen beiden letzteren aber sind die betreffenden, die da ehren, in höherem Grade verpflichtet auf Grund der empfangenen Wohlthaten.
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