Zweiter Artikel. Sache der Hochachtung ist es, den Personen, die in Amt und Würden stehen, nicht nur Achtung darzubringen, sondern auch Verehrung.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Augustin (10. de civ. Dei 1.) schreibt, wir verehren Personen, denen wir Achtung erweisen. Also ist dies dasselbe: Verehrung und Achtung. II. Die Gerechtigkeit leistet das Geschuldete. Wir schulden aber Verehrung und Achtung nur den Personen, die uns vorgesetzt sind; nicht allen, die höhere Stellungen einnehmen. Also wird die Pflicht der Hochachtung im Titel nicht recht angegeben; denn die Hochachtung ist ein Teil der Gerechtigkeit. III. Unseren Vorgesetzten, die in Amt und Würden stehen, schulden wir nicht bloß eine gewisse Ehre, sondern auch gewisse Geschenke und Furcht, Röm. 13.: „Tribut, dem da Tribut; Steuer, dem Steuer; Furcht, dem Furcht gebührt;“ — ebenso schulden wir ihnen Gehorsam und Unterwürfigkeit, nach Hebr. 13.: „Gehorchet eueren Vorgesetzten und seid ihnen Unterthan.“ Also darf man nicht im besonderen Sinne davon sprechen, daß man ihnen Verehrung schulde. Auf der anderen Seite sagt Cicero, wir schuldeten diesen Personen Verehrung (cultus) und Achtung (honor).
b) Ich antworte. Leiten die untergebenen wolle besagen: sie zum gebührenden Zwecke hin bewegen; wie der Steuermann ein Schiff leitet, indem er es in den Hafen hin bewegt. Alles aber, was bewegt und in Thätigkeit setzt, hat einen gewissen Vorzug vor dem in Bewegung Gesetzten. Wer also eine Würde hat, in dem muß 1. ein Vorrang erwogen werden zusammen mit der Gewalt über die untergebenen; und 2. das Amt selber, das ihm anvertraut ist. Auf Grund des Vorranges gebührt ihm Achtung, die da ist eine gewisse Anerkennung eines Vorranges im anderen; auf Grund des Amtes, kraft dessen er thatsächlich leitet, gebührt ihm Verehrung, die in einer gewissen Unterwürfigkeit besteht, wenn nämlich jemandseinem Befehle gehorcht und die von ihm empfangene Wohlthat in seiner Weise vergilt.
c) I. In der Verehrung liegt nicht nur Ehre und Achtung; sondern manches Andere, was zum schicklichen Handeln gehört, wodurch der eine Mensch vom anderen geleitet wird. II. Eine wahre Schuld besteht den in Würden befindlichen Personen gegenüber in allem dem, wozu das Gesetz selber zwingt; und das geht nur die eigentlichen Vorgesetzten an. Eine andere Schuld ist die moralische, welche aus einer gewissen Wohlanständigkeit fließt; und danach schuldet man Verehrung und Achtung allen in Amt und Würde stehenden Personen. III. Ehre gebührt den höher gestellten Personen auf Grund ihresVorranges; Furcht auf Grund der Gewalt zu zwingen, die sie über andere haben; Gehorsam auf Grund ihres Amtes, andere zu leiten; Tribute als Entgelt und Stipendium für ihre Arbeiten.
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