Zweiter Artikel. Die Schmeichelei ist nicht immer Todsünde.
a) Das ist sie wohl. Denn: I. Nach Augustin (Enchir. 12.) „wird etwas ein Übel genannt, weil es schädlich ist.“ Die Schmeichelei aber schädigt im höchsten Grade, nach Ps. 9.: „Weil der Sünder gelobt wird in den Begierden seiner Seele und der Gottlose wird gepriesen; der Herr verabscheut den Sünder.“ Deshalb sagt Hieronymus (ep. ad Celant.): „Nichts verdirbt in dem Grade die Seelen der Menschen wie die Schmeichelei.“ Und zu Ps. 69. erklärt Augustin: „Mehr schadet die Zunge des Schmeichlers wie das Schwert des Verfolgers.“ Also ist die Schmeichelei eine sehr schwere Sünde. II. Wer mit seinen Worten schadet, der schadet nicht weniger sich selbst wie anderen, weshalb Ps. 36. es heißt: „Ihr Schwert bohre sich ein in ihre Herzen.“ Wer aber dem anderen schmeichelt, leitet ihn an, schwer zu sündigen, so daß zu Ps. 140. (Oleum peecatoris) die Glosse sagt: „Das falsche Lob des Schmeichlers macht die Herzen weich, daß sie von der Härte der Wahrheit abgehen, um Schädliches zu thun.“ Also sündigt um so mehr der Schmeichler gegen sich selber schwer. III. Dist. 46. cap. 3. wird in den Dekreten geschrieben: „Ein Kleriker, der sich mit Schmeicheleien und Verrätereien befaßt und überwiesen wird, soll von seinem Amte abgesetzt werden.“ Eine solche Strafe aber setzt eine Todsünde voraus. Auf der anderen Seite zählt Augustin (41. de Sanctis) es unter den kleineren Sünden auf, „wenn jemand einer höherstehenden Person von freien Stücken oder dazu von außen angetrieben schmeichelt.“
b) Ich antworte, die Schmeichelei sei bisweilen der heiligen Liebe entgegengesetzt, bisweilen nicht. Sie ist es in dreifacher Weise: 1. wenn jemand die Sünde eines anderen lobt; denn dies ist gegen die Liebe Gottes, gegen dessen Gerechtigkeit der betreffende spricht, und gegen die Liebe des Nächsten, den er in der Sünde ermutigt; also ist dies eine Todsünde, nach Isai. 5.: „Wehe, die ihr das Schlechte gut nennt;“ — 2. wenn jemand einem schmeichelt, um ihn zu täuschen oder zu betrügen; das ist ebenfalls Todsünde, nach Prov. 27.: „Besser sind die Wunden, die jener schlägt, welcher liebt, wie die trügerischen Küsse dessen, der da haßt;“ — 3. wenn die Schmeichelei für den anderen die Gelegenheit wird zur Sünde, auch wenn dies außerhalb der Absicht des Schmeichlers liegt; in diesem Falle ist zu erwägen, welches Verderben folgt und ob die Gelegenheit gegeben oder genommen worden, wie dies oben beim Ärgernisse (Kap. 43, Art. 3 u. 4) gesagt ward. Schmeichelt aber jemand nur auf Grund seines Begehrens, Angenehmes zu sagen oder um ein Übel zu vermeiden oder etwas Gutes zu erreichen, weil er in Not ist; — so ist da keine schwere, sondern eine läßliche Sünde.
c) I. Es ist da überall davon die Rede, daß die Sünde eines anderen gelobt wird. Das schadet mehr wie das Schwert des Verfolgers, weil die geistigen Güter höher stehen wie die zeitlichen. Aber es schadet nicht in so wirksamer Weise; denn das Schwert ist genügende Ursache für den Tod, niemand aber ist genügende Ursache für die Sünde eines anderen. II. Der Einwurf hat recht, wenn der Schmeichler die trügerische Absicht hat zu schaden. Denn sich schadet er dann mehr wie den anderen; weil er für seine eigene Sünde die genügende Ursache ist, für die der anderen aber nur eine Gelegenheit zu bieten vermag. III. Es ist da die Rede von solchen, die in verräterischer Weise schmeicheln, um zu täuschen.
