Erster Artikel. Die Schmeichelei ist Sünde.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Die Schmeichelei ist ein Lob, das man den anderen spendet in der Absicht zu gefallen. Loben aber einen ist kein Übel, nach Prov. ult. „Seine Söhne erstanden und priesen sie im höchsten Grade selig; ihr Mann erhob sich und lobte sie.“ Gefallen wollen ist auch kein Übel; denn Paulus sagt (1. Kor. 10.): „In Allem gefalle ich allen.“ II. Das Übel zu tadeln, ist keine Sünde; also auch nicht, das Gute zu loben, oder zu schmeicheln. III. Der Schmeichelei steht die Verkleinerung gegenüber. Denn Gregor (22. moral. 5.) sagt: „Man muß wohl wissen, daß, damit wir nicht auf Grund unmäßiger Belobigungen uns erheben, meistenteils es durch Weisheit des göttlichen Lenkers unserer Geschicke erlaubt wird, daß durch Verkleinerungen und Verleumdungen zerrissen werden und so jene, die der Mund des lobenden erhebt, die Zunge des Verleumders demütigt.“ Nun ist die Verkleinerung ein Übel. Also ist die Schmeichelei etwas Gutes. Auf der anderen Seite sagt Ezechiel 13.: „Wehe, die da weiche Kissen zusammennähen, um sie unter die Ellenbogen zu legen,“ wozu Gregor (18. moral. 4.) bemerkt: „d. h. die weiche Schmeichelei.“ Also ist letztere eine Sünde.
b) Ich antworte, es entspreche wohl der Leutseligkeit, angenehm mit den anderen zu verkehren; aber, wo es notwendig erscheint, sei es unsere Sache, manchmal andere zu betrüben, falls es sich um die Erreichung eines Gutes oder die Vermeidung eines Übels handelt. Will also einer immer und in jedem Falle dem anderen Angenehmes sagen, so sündigt er durch das „zuviel“; und zwar wird er „gefällig“ genannt, wenn er nur freuen; Schmeichler, wenn er etwas dadurch gewinnen will. (4 Ethic. 6.) Gemeinhin also sind Schmeichler solche, welche über das gebührende der Tugend hinaus anderen im Verkehr, sei es im Reden oder im Thun angenehm sein wollen.
c) I. Beim Loben muß man auf die entsprechenden Umstände geben. Lobt man jemanden, um ihn damit zu trösten, damit er nicht im Leid vergehe, oder um ihn für den Fortschritt im Guten zu begeistern; so ist das, wenn die anderen Umstände dabei gebührend beachtet werden, tugendhaft. Lobt aber jemand den anderen in dem, worin er kein Lob verdient, nach Ps. 9.: „Der Sünder wird gelobt im Verlangen seiner Seele;“ — oder in dem, wo noch keine Gewißheit vorhanden ist, nach Ekkli. 37.: „Vor seiner Rede lobe nicht den Menschen;“ — oder darin, wo er leicht durch das Lob zur Eitelkeit verleitet wird, nach Ekkli. 11.: Vor dem Tode sollst du den Menschen nicht loben;“ — so gehört dies zur Schmeichelei. Ebenso wenn jemand den Menschen gefallen will, um die Liebe zu nähren, so ist das zu loben; denn das dient zum Fortschritte in der Liebe. Will er aber gefallen um Geldgewinnes willen oder wegen eitler Ruhmgier, so ist das Sünde, nach Ps. 52.: „Gott wird zerstreuen die Gebeine derer, die den Menschen gefallen;“ und Gal. 1.: „Wenn ich noch den Menschen zu gefallen suchte, so wäre ich kein Knecht Christi.“ II. Auch das Übel zu tadeln, ist ein Fehler, wenn man die gebührenden Umstände nicht beachtet. III. Zwei Laster können einander entgegengesetzt sein. So ist die Verkleinerung ein Übel und die Schmeichelei. Sie stehen zwar einander gegenüber mit Rücksicht auf das, was gesagt wird; nicht aber direkt mit Rücksicht auf den Zweck. Denn der Schmeichler sucht angenehm zu sein jenem, dem er schmeichelt; während der verkleinernde nicht den anderen zu betrüben sucht, da er manchmal im geheimen verkleinert, wohl aber sucht er, ihn ehrlos zu machen.
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