Erster Artikel. Die Verschwendung steht im Gegensatze zum Geize.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Manchmal sind Menschen zugleich verschwenderisch und geizig. Also ist da kein Gegensatz. II. Der Geiz beschäftigt sich mit den inneren Leidenschaften, die den Menschen zum Gelde hinneigen. Also müßte als Gegensatz zum Geize die Verschwendung sich auch mit den inneren Leidenschaften befassen. Das aber scheint nicht der Fall zu sein; denn der Verschwender hat keine Hinneigung zum Gelde. III. Die Sünde hat ihre Wesensgattung vom Zwecke her. Der Verschwender aber scheint immer einen unerlaubten Zweck zu haben, um dessentwillen er ausgiebt; und zumal bilden einen solchen Zweck für ihn die Vergnügungen, wie vom verlorenen Sohne gesagt wird Luk. 15.: „Er verschwendete seinen Besitz in unkeuschem Leben.“ Also ist die Verschwendung vielmehr im Gegensatz zur Mäßigkeit. Auf der anderen Seite stellt (2 Eethic. 7.) Aristoteles die Verschwendung gegenüber dem Geize und der Freigebigkeit.
b) Ich antworte, im Bereiche des Moralischen wird der Gegensatz zwischen den Lastern und zwischen dem Laster und der Tugend gemäß dem „zuviel“ und „zuwenig“ bemessen. Nun ist der geizige im Übermaße dem Gelde innerlich ergeben; der Verschwender aber hat zu wenig Sorge um das Geld weniger nämlich als seine Pflicht erfordern würde. Also steht der Geiz im Gegensatze zur Verschwendung. Und zwar ist es Sache des Verschwenders, übermäßig zu sein im Geben; zu ermangeln aber des Zurückhaltens und des Erwerbens; — dagegen ermangelt der geizige des Gebens und ist übermäßig im Zurückhalten und Erwerben.
c) I. Unter verschiedenen Gesichtspunkten können einander entgegengesetzte Dinge in ein und derselben Person sein. Es wird aber jemand benannt nach dem, was an leitender Stelle ihm innewohnt. Wie nun in der Freigebigkeit die Hauptsache ist das Geben, wozu das Entnehmen und Bewahren hingeordnet erscheint, so wird auch der Geiz und die Verschwendung in erster Linie beurteilt gemäß dem Geben. Wer also über das Maß hinaus giebt, der ist verschwenderisch; und wer ermangelt des Gebens, der ist geizig. Es kann jedoch jemand im Geben ermangeln, der aber nicht über das Maß hinausgeht im Entnehmen und Erwerben. Und ähnlich kann jemand zu viel geben, kann verschwenderisch sein und zugleich damit wie in notwendiger Folge im Übermaße sich finden im Entnehmen; denn weil ihm für das Geben nicht Jenes genügt, was er erlaubterweise erwirbt, ist er gezwungen, fremdes Gut sich anzueignen, was dem Geize zugehört. Der Verschwender nämlich giebt nicht auf Grund der Tugend; und somit ist er nichi in Sorge in welcher Weise er sich Geld verschafft. II. Der Verschwender hat die Leidenschaft, zu wenig Sorge zu tragen um das Geld. III. Nicht immer haben die Verschwender als Zweck das Vergnügen vor sich; sondern manchmal sind sie von Natur zum Verschwenden angelegt oder sie geben manchmal aus anderen Gründen aus. Zum größten Teile freilich sind sie zu den fleischlichen Ergötzungen hingeneigt; denn da sie sich am Glücke der Tugend nicht erfreuen, haben sie ihre Freude am körperlichen Ergötzen. Und zudem scheuen sie sich nicht, auf Vergnügungen ihr Geld zu verwenden, wozu die Begierlichkeit bereits hinneigt, da sie doch die Neigung haben, es für andere auszugeben: „Viele Verschwender werden unmäßige,“ sagt deshalb Aristoteles. (4 Ethic. 1.)
