Erster Artikel. Die Stärke ist eine Tugend.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Paulus (2. Kor. 12.) sagt: „Die Tugend wird vollendet in der Schwäche;“ also nicht in der Stärke. II. Sie ist keine theologische Tugend, wie offenbar; sie ist keine moralische, denn Aristoteles sagt (3 Ethic. 7.): „Manche sind stark auf Grund ihrer Unkenntnis; oder wegen ihrer Erfahrung wie die Soldaten (was mehr auf eine Kunst hindeutet wie auf eine Tugend), andere wieder sind stark auf Grund ihrer Leidenschaften“ (während doch die Tugend nicht aus Leidenschaft handelt, sondern aus freier Wahl), also z. B. wegen Furcht vor Drohungen oder vor Unehre, wegen Trauer, Zorn, Hoffnung. Somit ist die Stärke überhaupt keine Tugend. III. Die Tugend hat ihren Sitz im Geiste. Die Stärke aber scheint mehr vom Körper abzuhängen oder wenigstens von der Komplexion des Körpers. Auf der anderen Seite zählt Augustin (de morib. Eccl. 15, 21, 22.) die Stärke unter den Tugenden auf.
b) Ich antworte; „die Tugend macht gut den, der sie hat; und macht dessen Werk zu einem guten.“ (2 Ethic. 6.) Nun besteht das Gute des Menschen darin (4. de div. nom.), gemäß der Vernunft zu sein. Also macht die Tugend dadurch den Menschen zu einem guten, daß sie dessen Werk gemäß der Vernunft herstellt. Das geschieht nun 1. dadurch daß die Vernunft selbst geregelt wird, wie bei den Tugenden, die in der Vernunft ihren Sitz haben; — 2. dadurch daß die Vernunft der Ordnung folgt und den maßgebenden Gründen, welche in den dem Menschenzugänglichen, ihn beschäftigenden äußeren Dingen walten, was auf die Gerechtigkeit Bezug hat; — 3. dadurch daß die Hindernisse dieser Ordnung der Vernunft, wie solche in den menschlichen Dingen nach außen hin waltet entfernt werden. Solche Hindernisse bestehen aber darin,
a) daß der menschliche Wille durch etwas Ergötzliches zurückgehalten wird, durch die Anhänglichkeit nämlich am Ergötzlichen, daß er der geraden Vernunft sich nicht anpasse; und dieses Hindernis wird von der Mäßigkeit entfernt; —
b) darin, daß der Wille zurückgetrieben wird vom Vernunftgemäßen wegen Schwierigkeiten, die damit verbunden erscheinen. Diesen Schwierigkeiten widersteht die Stärke, die also solches Hindernis entfernt; wie ja auch durch körperliche Kraft der Mensch körperliche Hindernisse überwältigt. Demnach macht die Stärke, daß der Mensch vernunftgemäß handelt; und somit ist sie eine Tugend.
c) I. Die Kraft oder Tugend der Seele wird nicht vollendet durch die Schwäche der Seele, sondern durch die Schwäche des Fleisches. Denn das ist Sache der Stärke des Geistes: 1. daß er die Schwäche des Fleische mit Kraft trägt, was zur Geduld gehört; und 2. daß er die eigene Schwäche anerkennt, was zur Demut gehört. II. Die äußere Thätigkeit der Stärke haben manchmal solche, die nicht die innere Tugend besitzen. Deshalb setzt Aristoteles (3 Ethic. 8.) fünf Arten und Weisen an, wo äußerlich eine Ähnlichkeit mit der Tugend de Stärke erscheint: 1. wenn man gegen eine Schwierigkeit angeht, als ob keine wäre, aus Unkenntnis, oder 2. auf Grund der Hoffnung, weil man schon oft solche Gefahren durchgemacht hat, oder 3. auf Grund einer gewissen Wissenschaft oder Kunst, wie bei den Soldaten; 4. wenn man aus Zorn ohne die Tugend im Innern die Thätigkeit der Stärke entfalte oder aus Trauer, um diese wegzutreiben, also überhaupt aus Leidenschaft; 5. wenn man wohl aus freier Wahl, aber wegen eines ungebührlichen Zweckes, wie z. B. aus Geldsucht, aus Liebe zum Vergnügen etc. Stärke thut; oder um einen Nachteil zu vermeiden, wie Tadel, Unehre. III. Gemäß der Ähnlichkeit mit der körperlichen wird die Stärke der Seele so benannt, welche allein eine Tugend ist. Es ist aber nicht das Wesen der Tugend, wenn jemand infolge seiner körperlichen Verfassung Anlage zu einer Tugend hat. ,
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