Vierter Artikel. Die Furcht entschuldigt manchmal vor Sünde.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Die Furcht ist eine Sünde, erschwert also vielmehr die bestehende Sünde. II. Höchstens könnte die Todesfurcht entschuldigen. Aber das scheint nicht. Denn der Tod ist eine Notwendigkeit; also nicht zu fürchten. III. Die Furcht vor einem geistigen Übel kann nicht von der Sünde entschuldigen; denn sie führt nicht zur Sünde, sondern zieht davon zurück. Die Furcht vor zeitlichem Übel kann auch nicht entschuldigen; denn „Mangel, Krankheit und was nicht von der eigenen Bosheit ausgeht, darf man nicht fürchten,“ sagt Aristoteles. (3 Ethic. 6.) Auf der anderen Seite sagt die Dekretale (I. qu. 1. cap. Constat.): „Dem Gewalt angethan ward und der so gegen seinen Willen von den Häretikern geweiht wurde; ist entschuldigt.“
b) Ich antworte, die Furcht sei Sünde, insoweit sie gegen die Ordnung der Vernunft ist. Die Vernunft nun urteilt, gewisse Übel seien mehr zu fliehen wie andere. Wer also, damit er den vernunftgemäß größeren Übeln entgehe, vor den Übeln nicht flieht, die minder zu fliehen sind, der begeht keine Sünde. So ist mehr zu fliehen der körperliche Tod wie der Verlust zeitlicher Güter. Wer also aus Furcht vor dem Tode den Räubern Geld verspräche oder gäbe, würde eine Entschuldigung für seine Sünde haben; dagegen würde er sündigen, wenn er ohne solchen Grund mit Beiseitelassung der guten, denen man mit mehr Recht geben muß, den Sündern Schenkungen machte. Wenn aber jemand vor Übeln flieht, die gemäß der Vernunft geringer sind, und dabei Übel erfährt, die nach der Vernunft größer sind, so wäre er nicht durchaus von der Sünde freizusprechen; denn eine solche Furcht wäre eine ungeregelte. Nun sind mehr zu fürchten die Übel der Seele wie die des Körpers; und die des Körpers mehr wie die äußeren. Wer also übel an der Seele erfährt, d. i. sündigt, damit er nicht an seinem Körper Übles leide, z. B. Schläge oder den Tod oder den Verlust seiner Güter; und wer Übel an seinem Körper erträgt, damit er keinen Nachteil in seinem Besitze erleide; — dessen Furcht ist ungeregelt und wird er keineswegs von der Sünde ganz und gar entschuldigt. Letztere wird jedoch geringer; denn es ist minder freiwillig das, was aus Furcht geschieht, da die Furcht dem handelnden wie eine gewisse Notwendigkeit auflegt.
c) I. Die Furcht entschuldigt nicht von der Seite aus daß sie Sünde ist, sondern insoweit sie Grund von Unfreiwilligkeit ist. II. Der Tod droht allerdings allen; aber die Verkürzung selber des zeitlichen Lebens ist ein gewisses Übel und somit zu fürchten. III. Nach den Stoikern sind die zeitlichen Güter nicht die Güter des Menschen; und somit auch die zeitlichen Übel nicht dem Menschen zugehörig; — also sind sie in keiner Weise zu fürchten. Nach Augustin aber (2. de lib. arbitr. 18. et 19.) sind die zeitlichen Güter sehr geringe Güter, wie auch die Peripatetiker annahmen; und sonach sind die ihnen entgegengesetzten Übel wohl zu fürchten, aber nicht derart, daß man deshalb das Gute der Tugend außer acht ließe.
