Dritter Artikel. Die Schwere der Sünde der Furcht.
a) Die Furcht ist keine Todsünde. Denn: I. Die Furcht ist in der sinnlichen Abwehrkraft, der irascibilis. Im sinnlichen Teile aber finden sich nur läßliche Sünden. II. Jede Todsünde trennt von Gott, was die Furcht nicht thut. Denn zu Richt. 7. (Qui est formidolosus) sagt die Glosse: „Furchtsam ist, wer beim ersten Anblicke der Schlachtreihe zittert, aber doch nicht im ganzen Herze zurückschreckt; sondern von neuem den Fehler gutmacht.“ Also ist die Furcht keine Todsünde. III. Die Todsünde zieht nicht nur von der Vollkommenheit ab, sondern auch vom Gebote. Die Furcht aber zieht nur von der Vollkommenheit ab; denn zu Deut. 20. Qui est formidolosus sagt die Glosse: „Er lehrt, es könne niemand zu einem Leben der Betrachtung oder des geistigen Kampfes sich wenden, der noch fürchtet, von irdischen Gütern entblößt zu werden.“ Auf der anderen Seite heißt es Apok. 21.: „Die furchtsamen und ungläubigen und verabscheuten … werden ihren Anteil haben … im Feuersumpfe was da ist der zweite Tod.“ Also ist die Furcht Todsünde.
b) Ich antworte, die Furcht sei Sünde als ungeregelte, insoweit sie flieht, was gemäß der Vernunft nicht zu fliehen ist. Ist diese Furcht 1. nur im sinnlichen Teile und stimmt das vernünftige Begehren nicht zu; so ist sie keine Tod-, sondern läßliche Sünde. Greift jedoch 2. solche Furcht bis in den geistigen Willen hinein, so daß man mit freiem Willen flieht, wovor man nach der Vernunft nicht fliehen sollte; dann ist sie Todsünde, wenn jemand aus Furcht vor dem Tode oder sonst einem zeitlichen Übel in einer solchen inneren Verfassung ist, daß er etwas Verbotenes thun oder etwas im Gesetze Gebotenes beiseite lassen würde. Sonst ist sie auch im zweiten Falle läßliche Sünde.
c) I. Ist oben beantwortet. II. Jener fürchtet „im ganzen Herzen“, dessen Seele unheilbar von der Furcht besiegt wird. Es kann jedoch auch die Furcht Todsünde sein und es ist damit trotzdem nicht gesagt, daß der betreffende nicht durch Überredung von seiner, Furcht zurückgebracht werden könnte; wie jemand schwer sündigt, wenn er der inneren Begierde zustimmt, und doch dazu gebracht werden kann, daß er jener Begierde nicht die That folgen läßt. Oder die Glosse spricht von der Furcht wie sub I. III. Solche Furcht, die nicht von einem Gebote abzieht, sondern nur von einem Rate, ist keine Todsünde; manchmal aber läßliche und manchmal gar keine Sünde.
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