Erster Artikel. Der Ehrgeiz ist eine Sünde.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Der Ehrgeiz ist ein Geizen nach Ehre. Die Ehre aber ist ein Gut; und werden jene getadelt, die sich nicht darum kümmern. II. Jeder kann begehren, was ihm als Lohn gebührt. Die Ehre aber ist der Lohn der Tugend. (1 Ethic. 12.) III. Sünde kann nicht sein das, was zum Guten aneifert und vom Bösen abhält. Durch die Ehren aber werden die Menschen zum Guten angeeifert und vom Bösen abgehalten. Deshalb fagt Aristoteles (3 Ethic. 8.): „Im höchsten Grade stark sind jene, bei denen die furchtsamen ohne Ehren, die starken geehrt sind;“ und Cicero (l. Tuscul.): „Die Ehre ist die Nahrung der Künste.“ Auf der anderen Seite sagt Paulus (1. Kor. 13.): „Die Liebe ist nicht ehrgeizig.“
b) Ich antworte, die Ehre sei eine gewisse Achtung, die man jemandem erweist zum Zeichen eines Vorzuges, den er besitzt. Nun hat aber 1. Mensch seine Vorzüge nicht von sich selbst, sondern von Gott; und somit gebührt Gott in erster Linie die entsprechende Ehre; — 2. soll er mit dem von Gott Verliehenen anderen nützen, so daß insoweit die erwiesene Ehre dem Menschen gefallen soll, als dieselbe ihm den Weg öffnet, anderen zu nützen In dreifacher Weise also kann das Verlangen nach Ehre ungeregelt sein: 1. insofern der Mensch Ehre verlangt, ohne den entsprechenden Vorzug zu besitzen; was da heißt Ehre über die bestehenden Kräfte verlangen; 2. wenn er die ihm erwiesene Ehre nicht auf Gott bezieht; — 3. wenn er an der Ehre allein sich sättigt und nicht an den Nutzen anderer denkt. Also ist der Ehrgeiz oder die ungeregelte Sucht nach Ehre Sünde.
c) I. Das Verlangen nach Gutem muß durch die Vernunft geregelt werden; und diese Regel läßt der Ehrgeizige beiseite. Getadelt wird, wer nicht um die Ehre sich kümmert in der Weise, wie die Vernunft es anordnet; der nämlich nicht das vermeidet, was Schande verdient. II. Die Ehre ist nicht Lohn der Tugend mit Rücksicht auf den tugendhaften, so daß dieser sie als Lohn erstreben sollte; dafür ist die Seligkeit der erstrebte Zweck der Tugenden. Aber es wird die Ehre als Lohn der Tugend bezeichnet mit Rücksicht auf die anderen, die nichts Höheres haben, um dem tugendhaften damit zu entgelten wie die Ehre; denn die Ehre hat eben darin ihren Wert, daß sie ein Zeugnis der Tugend ist. Also ist sie offenbar kein hinreichender Lohn. (4 Ethic. 3.) III. Wie die Ehre, vernunftgemäß begehrt, zum Guten antreibt und vom Bösen abzieht; so ist ebenfalls die Ehre, ungebührend verlangt, Gelegenheit zum Bösen; — wenn jemand nämlich ganz unbekümmert darin ist, in welcher Weise er Ehre erlangt. Deshalb sagt Sallust (Catilina): „Ruhm, Ehre und Herrschaft werden gleichermaßen vom guten wie vom Feiglinge erstrebt. Jener aber bedient sich des rechten Weges; dieser der List und des Betruges, da wahre Vorzüge ihm fehlen.“ Jedoch sind auch jene, welche einzig im Hinblicke auf die Ehre das Gute thun und das Böse meiden, nicht tugendhaft: „Nicht sind wahrhaft stark, die nur um der Ehre willen Starkes thun.“ (3 Ethic. 8.)
