Erster Artikel. Der Kleinmut ist eine Sünde.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Jede Sünde macht den Menschen zu einem schlechten. Der kleinmutige aber ist nicht schlecht, nach 4 Ethic. 3. II. „Jeder ist zumal kleinmütig, der großer Güter würdig ist, jedoch sich selber deren nicht für würdig hält.“ (4 Ethic. 3.) Nur der tugendhafte aber verdient Großes. Also ist der Kleinmut keine Sünde. III. „Der Anfang aller Sünden ist der Stolz.“ (Ekkli. 10.) Der Kleinmut aber kommt nicht vom Stolze; denn der stolze erhebt sich über sich selbst, während der kleinmütige sich sogar dem entzieht, dessen er würdig ist. Also ist der Kleinmut keine Sünde. IV. Heilige Männer, wie Moses und Jeremias, hielten sich nicht für würdig des Amtes, dessen sie nach Gottes Urteil thatsächlich würdig waren. (Oxod. 3.; Jerem. 1.) Also ist Kleinmut nicht sündhaft. Auf der anderen Seite warnt die Schrift in sittlichen Dingen nur vor der Sünde. Koloss. 3. aber heißt es: „Väter, reizet nicht zum Zorne euere Kinder, daß sie nicht im Herzen kleinmütig werden.“ Also ist Kleinmut Sünde.
b) Ich antworte, was der Neigung der Natur widerspricht, sei Sünde; denn es widerspricht dem Naturgesetze. Von Natur aber wohnt jedem Dinge inne die natürliche Neigung, so thatsächlich zu wirken, wie es dem Maße seines Vermögens entspricht; wie das in allen natürlichen Dingen, in den lebenden und leblosen, beobachtet werden kann. Wie aber durch Vermessenheit jemand überschreitet das Verhältnis seines Könnens, da er mehr thun will als er fähig ist; so bleibt der kleinmütige zurück hinter dem Verhältnisse und dem Inhalte seines Vermögens, da er sich weigert das zu erstreben, was der Beschaffenheit seines Vermögens entspricht, ebenso demnach wie die Vermessenheit, so ist der Kleinmut Sünde. Deshalb wird jener Knecht, der das Geld seines Herrn vergraben wegen kleinmütiger Furchtsamkeit und nicht damit gewirkt hat, vom Herrn bestraft, (Matth. 25.)
c) I. Aristoteles nennt an jener Stelle diejenigen schlecht, die dem Nächsten schaden, was der kleinmütige an und für sich nicht thut; außer etwa weil er infolge seines Kleinmutes der Thätigkeiten ermangelt, die dem Nächsten nützlich sein können. Denn Gregorius sagt (pastoral. 1, 5.): „Jene, welche es scheuen, dem Nächsten durch ihre Predigt nützlich zu sein, sind, wenn ihre Sache genau geprüft wird, ohne Zweifel für so viele verantwortlich als die Zahl derer beträgt, denen sie durch ihr öffentliches Wort nützlich sein konnten.“ II. Es kann ganz gut jemand trotz des Zustandes der Tugend, den er hat, sündigen; und zwar läßlich, sobald der Zustand selber bestehen bleibt, und auch schwer, so daß der durch die Gnade erzeugte Zustand eben wegfällt. Und so kann es ganz wohl geschehen, daß jemand infolge üer Tugend, die er hat, würdig d. h. fähig ist, um etwas Großes zu thun, was große Ehre verdienen würde. Trotzdem aber weil er sich weigert, die in ihm bestehende Tugend zu benutzen, sündigt er; und zwar bisweilen läßlicherweise und bisweilen schwer. Oder man kann sagen, der kleinmütige verdiene Großes wegen der Fertigkeit zu handeln, die ihm die Tugend verleiht oder die gute natürliche Verfassung in ihm oder seine Wissenschaft oder sein Besitz an äußeren Gütern; und weil er sich weigert, diese Vorzüge zu einem tugendhaften Werke zu benutzen, deshalb wird er ein kleinmütiger genannt. III. Auch der Kleinmut kommt vom Stolze, insofern jemand zu sehr an seiner Meinung festhält und sich für unzureichend hält, da er doch das Vermögen dazu hat. Daher heißt es Prov. 26.: „Der sich selber weise dünkt, erscheint als ein träger sieben Männern, die ihm zureden.“ Denn es kann einer wohl nach der einen Seite hin sich über sich selbst erheben und nach der anderen Seite hin sich herabsetzen. Deshalb sagt Gregor (pastoral. 1, 7.): „Moses wäre stolz gewesen, wenn er die Führung unzähligen Volkes ohne Zittern übernommen hätte; und er wäre wiederum stolz gewesen, wenn er dem Gebote seines Schöpfers den Gehorsam verweigert hätte.“ IV. Moses und Jeremias waren wohl des für sie bestimmten Amtes würdig. Aber sie blickten auf das Unzureichende ihrer Schwäche und weigerten sich deshalb; jedoch nicht hartnäckig, so daß sie nicht in Stolz fielen.
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