Vierter Artikel. Die Prachtliebe ist ein Teil der Stärke.
a) Dem wird widersprochen. I. Die Prachtliebe kommt im Gegenstande mit der Freigebigkeit überein. Letztere aber ist ein Teil der Gerechtigkeit, nicht der Stärke. II. Die Stärke richtet sich auf Furcht und Kühnheit d. h. auf Leidenschaften. Die Prachtliebe aber hat einzig zu thun mit großen Aufwendungen, also mit Thätigkeiten; und gehört somit zur Gerechtigkeit. III. „Der prachtliebende ist ähnlich dem, der Kenntnis hat,“ heißt es 4 Ethic. 2. Also ist sie vielmehr ein Teil der Klugheit wie der Stärke. Auf der anderen Seite nennen Cicero, Andronicus, Macrobius sie einen Teil der Stärke.
b) Ich antworte, die Prachtliebe sei ein potentialer Teil der Stärke; nicht ein subjektiver, also eine Gattung von Stärke, da der Gegenstandder Stärke nicht der für die Prachtliebe ist. Sie ist mit der Stärke verbunden wie eine Nebentugend mit der Haupttugend. Denn einerseits kommt sie mit der Stärke darin überein, daß beide nach etwas Schwierigem, Hohem streben und somit in der Abwehrkraft sich finden. Die Prachtliebe jedoch bleibt andererseits vor der Stärke zurück, weil letztere nach schwer Erreichbarem strebt trotz der Gefahren, die der eigenen Person drohen; die Prachtliebe aber nur Gefahren hat mit Rücksicht auf die Geldausgaben, welche Gefahr viel geringer ist wie die erstere.
c) I. Die Gerechtigkeit berücksichtigt die Thätigkeiten an sich unter dem Gesichtspunkte des Geschuldeten, die Freigebigkeit und Prachtliebe aber mit Beziehung auf die Leidenschaften; und zwar berücksichtigt die Freigebigkeit die Ausgaben mit Beziehung auf die Liebe und die Begierde zum Gelde, die sie regelt, weshalb sie in der Begehrkraft sich findet; — die Prachtliebe aber mit Beziehung auf die Hoffnung, insofern sie auf schwer Erreichbares geht wie die Hochherzigkeit, freilich in einem ganz bestimmten Bereiche, in den großen Ausgaben. II. Mit Bezug auf das Schwierige kommt die Prachtliebe mit der Stärke überein; jene freilich mit Rücksicht auf Geldausgaben, diese mit Rücksicht auf Todesgefahr. III. Die Prachtliebe regelt den Gebrauch der Kunst. Die Kunst aber ist in der Vernunft. Also muß die Prachtliebe gut die Vernunft gebrauchen im Bemessen des Verhältnisses zwischen den Ausgaben und dem beabsichtigten Werke, zumal wegen der Größe beider; und deshalb kommt der Prachtliebe es zu, „wissend“ zu sein.
