Hundertdreiundvierzigstes Kapitel. Über die Teile der Mäßigkeit im allgemeinen. Über die Teile der Mäßigkeit im allgemeinen.
a) Cicero (2. de Inv.) bezeichnet schlecht als Teile der Mäßigkeit: die Enthaltsamkeit, die Milde, die Bescheidenheit. Denn: I. Die Enthaltsamkeit wird 4 Ethic. ult. neben der Tugend genannt und von ihr unterschieden. Die Mäßigkeit aber ist eine Tugend. Also ist die Enthaltsamkeit kein Teil der Mäßigkeit. II. Die Milde mindert den Zorn, womit die Mäßigkeit nichts zu schaffen hat. III. Die Bescheidenheit besteht in äußeren Thätigkeiten, nach Phil. 4.: „Euere Bescheidenheit sei bekannt allen Menschen.“ Die äußeren Thätigkeiten aber sind Gegenstand der Gerechtigkeit. IV. Macrobius zählt als Tugenden, welche der Mäßigkeit folgen, auf (1. de som. Scip. 8.): „die Bescheidenheit, die Schamhaftigkeit, den Unterschied der Speisen, die Keuschheit, die Ehrbarkeit, das Maßhalten, die Sparsamkeit, die Nüchternheit, die Verschämtheit.“ Andronicus: „die Enthaltsamkeit, die Demut, die Einfalt, den Schmuck, die gute Leitung, die Genügsamkeit, die Zurückhaltung oder Strenge (austeritas).
b) Ich antworte, integrale Teile einer Kardinaltugend seien jene, welche wie Elemente den Tugendakt zusammensetzen; und das sind für die Tugend der Mäßigkeit:
a) die Verschämtheit, welche vor dem der Unmäßigkeit anhaftenden Schimpflichen flieht und
b) die Ehrbarkeit oder Wohlanständigkeit, kraft deren einer die Schönheit der Mäßigkeit liebt. Denn eben die Mäßigkeit schließt einen gewissen Glanz in sich ein, wie die Laster der Unmäßigkeit Schande. Die subjektiven Teile einer Tugend sind deren Gattungen, welche unterschieden werden gemäß der Verschiedenheit im Gegenstande. Die Ergötzlichkeiten nun als Gegenstand der Mäßigkeit zerfallen in zwei Arten: 1. in solche, welche auf die Nahrung sich beziehen und zwar ist da mit Rücksicht auf die Speise
a) die Abstinenz oder „der Unterschied in der Speise“; mit Rücksicht auf den Trunk
b) die Nüchternheit; — 2. in solche, welche auf die Fortpflanzung sich beziehen; und da ist mit Rücksicht auf den Hauptakt des geschlechtlichen Zusammenlebens
a) die Keuschheit, und mit Rücksicht auf Nebenergötzlichkeiten, wie Küsse, Berührungen, Umarmungen
b) die Schamhaftigkeit. Potentiale Teile einer Tugend endlich sind die Nebentugenden, wo die Kraft (potentia) der Haupttugend durchscheint; nämlich in einigen anderen Gegenstanden, die nicht so viel Schwierigkeit bieten wie der Hauptgegenstand. Da nun der Mäßigkeit es zugehört, die Ergötzlichkeiten des Tastsinnes zu regeln, was am meisten Schwierigkeit bietet; so wird jede Tugend als eine Nebentugend der Mäßigkeit betrachtet, welche in irgend welchem Bereiche ein Maßhalten bewirkt und das Begehren nach etwas zügelt. Da sind nun 1. die innerlichen Seelenbewegungen und zwar kommen da drei solcher Bewegungen in Betracht:
a) die Bewegung des Willens, den die Leidenschaft erregt und da findet sich die Enthaltsamkeit, kraft deren es geschieht, daß der Mensch wohl ungeregelte Begierlichkeiten erleidet, aber sein Wille nicht gebeugt wird;
b) die Bewegung der Hoffnung auf etwas und der ihr folgenden Kühnheit; und diese Bewegung wird gezügelt von der Demut;
c) die Bewegung des Zornes zur Rache hin; und da findet sich die Milde oder Sanftmut. Es bestehen 2. die körperlichen Thätigkeiten und Bewegungen, welche die Bescheidenheit zügelt, die wieder ihrerseits Andronicus in drei Teile scheidet; dies sind
a) die gute Leitung, welche unterscheidet, was zu thun und was zu lassen sei, welcher Ordnung gemäß man handeln müsse und wie man dabei fest bleiben soll; —
b) der Schmuck, wonach der Mensch in dem, was er thut, den äußeren Anstand beobachtet; —
c) die Zurückhaltung oder Strenge, kraft dessen jemand Maß hält in seinen Reden mit Freunden oder anderen. Es bestehen 3. die Bewegungen, soweit sie auf die außen befindlichen Dinge gehen:
a) daß man nichts Überflüssiges suche; danach setzt Macrobius die Sparsamkeit, Andronicus die Genügsamkeit; —
b) daß man nichts zu Kostbares verlange; und danach hat Macrobius das Maßhalten, Andronicus die Einfalt.
c) I. Die Enthaltsamkeit verhält sich zur Tugend, wie das Unvollkommene zum Vollkommenen. Sie kommt jedoch mit der Mäßigkeit überein sowohl im Gegenstande, denn sie regelt den Tastsinn; als auch in der Seinsweise, denn sie zügelt. Und danach ist sie ein Teil der Mäßigkeit. II. Nicht auf Grund des Gegenstandes, sondern weil sie zügelt und Maß hält, wird die Milde oder Sanftmut als Teil der Mäßigkeit betrachtet. III. Die Bescheidenheit regelt nur das äußere Verhalten; sie beachtet nicht den Charakter des Geschuldeten. IV. Cicero begreift in der Bescheidenheit alles Jenes ein, was zur Regelung der körperlichen Bewegungen und der äußeren Dinge gehört, und ebenso die Regelung der Hoffnung, die wir der Demut zuteilten.
