Erster Artikel. Mt Rücksicht auf die vernünftige Kenntnis kann Neugierde vorhanden sein.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Die vernünftige Erkenntnis ist ihrem Wesen nach etwas Gutes; denn „gut ist es für den Menschen, gemäß der Vernunft zu sein.“ (4. de div. nom.) Also kann im Begehren nach der Vollendung und Bethätigung der Vernunft keine Sünde sein. II. Was von Gott kommt und worin der Mensch Gott ähnlich ist, kann nichts Schlechtes sein. „Alle Weisheit aber ist von Gott dem Herrn,“ heißt es Ekkli. 1.; und Sap. 7.: „Gott hat mir von dem was ist wahres Wissen gegeben, damit ich wisse die Kräfte der Elemente und die Scheidung der Teile des Erdkreises.“ Darin wird auch der Mensch Gott ähnlich, „vor dessen Augen Alles nackt und offen ist.“ Also wie groß auch das Wissen sei, darin ist nie etwas Schlechtes; und das Begehren danach ist immer gut. III. Höchstens könnte ein Fehler darin gefunden werden, wenn man zu viel auf die philosophischen Wissenschaften giebt. Hieronymus aber sagt (sup. Daniel. 1.): „Die da der Speisen und Getränke des königlichen Tisches ermangeln wollten, damit sie nicht sündigten, würden nie einwilligen, die Weisheit der Babylonier zu lernen, wenn sie urteilten, darin läge Sünde.“ Und Augustin (2. de doctr. christ. c. 40.): „Wenn die Philosophen etwas Wahres gesagt haben, so ist dies ihnen als rechtlosen Besitzern zu entreißen.“ Auf der anderen Seite sagt Hieronymus zu Ephes. 4. (non ambuletis): „Oder scheint euch nicht jener in eitlem Sinne und dunklem Verständnisse einherzuwandeln, der da Tag und Nacht sich mit dialektischen Spitzfindigkeiten quält und als Durchforscher der Natur seine Augen zu dem, was jenseits des Firmamentes ist, erhebt.“ Eitler Sinn und dunkles Verständnis aber ist etwas Sündhaftes. Also kann auch rein vernünftige Kenntnis Gegenstand der Neugierde sein.
b) Ich antworte, die Wißbegierde beziehe sich nicht unmittelbar auf die Kenntnis der Wahrheit, sondern auf die Begierde danach und das Bemühen um dieselbe. Die Kenntnis der Wahrheit nun an sich ist immer etwas Gutes; außer wenn, was für die Kenntnis selber äußerlich und nebenbei erscheint, jemand sich etwas darauf einbildet, nach 1. Kor. 8.: „Wissen bläht auf,“ oder wenn man sich der Wissenschaft bedient, um mehr zu sündigen. Das Begehren nach der Kenntnis aber kann verkehrt sein: 1. wenn jemand um eines Übels willen dieselbe will, wie z. B. um seinem Stolze zu genügen. Deshalb sagt Augustin (de morib. Eccl. 21.): „Es giebt deren, welche mit Vernachlässigung der Tugenden und unwissend darüber was Gott sei und welche Majestät der immer dieselbe bleibenden Natur innewohne, etwas Großes zu thun meinen, wenn sie all das Körperliche, was wir Welt nennen, mit größter Neugierde genau durchforschen. Daher kommt ein so großer Dünkel, daß sie sich als im Himmel selbst bereits wohnend vorkommen, über den sie häufig disputieren.“ 2. Jene, die nach Kenntnis begehren, um zu sündigen, haben oft ein verkehrtes Begehren, nach Jerem. 9.: „Sie lehrten ihre Zunge, Lügen zu sprechen; sie mühten sich ab, um gottlos zu handeln.“ Es ist 3. bisweilen das Begehren selber ungeregelt; und zwar
a) insoweit man von etwas Wichtigerem abgezogen wird oder gar von der Pflicht; weshalb Hieronymus sagt (ep. 126.): „Die Priester lassen beiseite die Evangelien und Propheten und geben sich an das Lesen von Komödien und an das Singen von Liebes- und Hirtenliedern;“ —
b) insoweit man lernt von denen, bei welchen dies nicht erlaubt ist, z. B. von den Teufeln; wovon Augustin (de vera Relig. 4.) schreibt: „Die Philosophen werden gehindert zu glauben durch die Sünde der Neugierde, kraft deren sie sich bei den Dämonen Kenntnis holen;“ —
c) insoweit die Kenntnis der Kreaturen nicht erstrebt wird, um Gott mehr zu erkennen; weshalb Augustin sagt (c. 29.): „In der Betrachtung der Kreaturen muß man nicht von bloßer Neugierde getrieben sein; sondern sie benutzen, um zum Ewigen fortzuschreiten;“ —
d) soweit einer um die Kenntnis der Wahrheit sich abmüht über das Maß seiner Kräfte hinaus; denn dies ist oft Gelegenheit zu Irrtümern. Deshalb sagt Ekkli. 3.: „Was höher ist als du, untersuche nicht; und was stärker ist als du, durchforsche nicht; und in vielen Dingen sei nicht neugierig… denn viele hat verkehrt ihr eingebildetes Wissen und in Eitelkeit hat sie festgehalten ihr Sinn.“
c) I. Nicht besteht das höchste Gut des Menschen in der Erkenntnis einer jeden beliebigen Wahrheit; sondern in der vollkommenen Kenntnis der höchsten Wahrheit. (10 Ethic. 7.) Wird also die Kenntnis anderer Wahrheiten nicht gebührend bezogen auf die Kenntnis der höchsten Wahrheit als auf den letzten Endzweck alles Erkennens, so kann in solcher Kenntnis einzelner Wahrheiten Sünde sein. II. Die Kenntnis der Wahrheit ist an sich immer gut; aber es kann jemand solche Kenntnis mißbrauchen zur Sünde oder ungeregelterweise danach streben; da doch das Begehren nach Gutem geregelt sein muß, um selbst gut zu sein. III. Die Philosophie ist etwas Gutes und Lobenswertes, hat ja doch nach Röm. 1. Gott den Philosophen Wahrheit offenbart. Viele Philosophen mißbrauchen aber ihre Kenntnis, um den Glauben zu bekämpfen, nach Koloss.: „Niemand täusche euch durch Philosophie und eitle Trugschlüsse, nach den Lehren der Menschen und nicht nach Christum.“ „Sie (die Philosophen),“ sagt Dionysius (ad Polycarp.), „bedienen sich des von Gott Gegebenen nicht heilig, sondern gegen das Göttliche; durch die Weisheit Gottes sich bemühend, die Verehrung Gottes zu hintertreiben.“
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