Erster Artikel. Das göttliche Gesetz lehrt zulässigerweise die Gebote der Mäßigkeit.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Die Stärke ist eine höhere Tugend wie die Mäßigkeit. Also unzulässigerweise geben die zehn Gebote eine Vorschrift über die Mäßigkeit; nämlich über den Ehebruch, und nicht über die Stärke. II. Die Mäßigkeit beschäftigt sich mit Speise und Trank und mit Geschlechtlichem. Mit Unrecht also ergeht da nur ein Gebot mit Rücksicht auf das Letztere und zwar wird auch da nur eine einzige Gattung Unkeuschheit verboten: der Ehebruch. III. Es kommt für den Gesetzgeber mehr darauf an, zur Tugend an zuleiten wie vom Bösen abzuleiten, da Letzteres bloß als Hindernis für die Tugend verboten ist. Da aber die zehn Gebote die hauptsächlichsten Vor-schriften des göttlichen Gesetzes enthalten, so hätte da Ueber die Mäßigkeit geboten als der Ehebruch verboten werden müssen. Auf der anderen Seite steht die heilige Schrift.
b) Ich antworte, „der Zweck des Gesetzes sei die heilige Liebe.“ (1. Tim. 1.) Jene Gebote also stehen unter den zehn Geboten, welche direkter hinleiten zur Liebe Gottes und des Nächsten. Unter den Lastern aber, die gegen die Mäßigkeit sich richten, ist am meisten gegen die Liebe des Nächsten der Ehebruch, der sich der Sache eines anderen bemächtigt mißbrauchend die Gattin des Nächsten. Und deshalb wird derselbe sowohl der That nach verboten wie der Begierde nach.
c) I. Unter den Lastern, die der Stärke entgegenstehen, ist keines so direkt der Liebe entgegengesetzt, wie mit Rücksicht aus die Mäßigkeit der Ehebruch. Jedoch pflegt bisweilen das Laster der Kühnheit, welches der Stärke entgegengesetzt ist, die Ursache für den Mord zu sein, der im Dekalog verboten ist. Denn Ekkli. 8. heißt es: „Mit dem kühnen gehe nicht auf dem Wege, daß er nicht mit seinen Übeln dich beschwere.“ II. Die Gaumenlust ist nicht direkt der Liebe entgegengesetzt wie dies beim Ehebruch der Fall ist. Und unter den Lastern der Wollust ist wieder der Ehebruch am meisten der Nächstenliebe entgegen. Denn dem Vater geschieht kein so großes Unrecht durch die Verführung seiner Tochter wie dem Ehemanne durch den Ehebruch. III. Die zehn Gebote sind allgemeine Principien des göttlichen Gesetzes. Es konnten aber keine affirmativen allgemeinen Gebote über die Mäßigkeit gegeben werden. Denn deren Bethätigung ändert sich gemäß den verschiedenen Zeiten, Orten, Gewohnheiten; sc. (Aug. de bono conjug. 15.)
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