Sechster Artikel. Die Stfen der Prophetie und der Fortschritt der Zeit.
a) Es scheint, diese Stufen wechselten gemäß dem Fortschritte der Zeit. Denn: I. Gregor 16. in Ezech.) sagt: ,In der Aufeinanderfolge der Zeiten nahm zu die Kenntnis des Göttlichen;“ welche doch durch die Prophetie vermittelt wird. II. Die prophetische Offenbarung geschieht dadurch, daß zum Propheten gesprochen wird. Von den Propheten nun wurde das Geoffenbarte durch Wort und Schrift verkündet. Denn 1. Kön. 3. wird gesagt, „das vor Samuel das Wort des Herrn kostbar war,“ d. h. wenigen bekannt, was doch später vielen mitgeteilt wurde. Auch ward vor den Zeiten des Isaias nichts aufgeschrieben; diesem erst wird gesagt: „Nimm dir ein großes Buch und schreibe darin mit der Feder eines Menschen“ (Is. 8.); und nach dieser Zeit haben viele Propheten ihre Weissagungen aufgeschrieben. Also besteht da eine Entwicklung in den Stufen der Prophetie der Zeitenfolge gemäß. III. Matth. 11. sagt der Herr: „Bis zu Johannes haben das Gesetz und die Propheten geweissagt.“ Nachher aber war die Prophetengabe in weit hervorragenderer Weise in den Jüngern des Herrn wie sie in den Propheten gewesen, nach Ephes. 3.: „Anderen Zeiten der Kinder der Menschen war nicht bekannt das Mysterium Christi, welches jetzt offenbart worden im Geiste den heiligen Aposteln und Propheten des Herrn.“ Also wuchs die Prophetie mit der Zeit. Auf der anderen Seite war Moses der größte Prophet und lebte vor den anderen. Also besteht da keine steigende Entwicklung.
b) Ich antworte, die Prophetie habe zum Zwecke die Kenntnis der göttlichen Wahrheit, die wir glaubend betrachten und nach der wir leben sollen, nach Ps. 42.: „Sende heraus Dein Licht und Deine Wahrheit; sie haben mich hinabgeführt.“ Unser Glaube nun besteht hauptsächlich in zweierlei, nach Hebr. 11.: „Der zu Gott hinantritt, muß glauben, daß Er ist;“ also in der wahren Kenntnis Gottes, und nach Joh. 14.: „Glaubet an Gott und an mich glaubet;“ also im Mysterium der MenschWerdung. Sprechen wir nun von der Prophetie, soweit sie zum Zwecke der wahren Kenntnis Gottes Beziehung hat, so nahm sie zu gemäß drei verschiedenen Zeiten: nämlich vor dem Gesetze, unter dem Gesetze und nach demselben. Denn vor dem Gesetze sind Abraham und die anderen Patriarchen unterrichtet worden über den Glauben an die Gottheit und zwar in prophetischer Weise, nach Ps. 104.: „Gegen meine Propheten seid nicht boshaft,“ was zumal von Abraham und Isaak gesagt wird. Unter dem Gesetze war dieselbe Unterweisung eingehender und hervorragender; denn es galt, sie einem ganzen Volke zu geben. Deshalb sagt der Herr zu Moses: „Ich bin der Herr, der erschienen ist dem Abraham, Isaak und Jakob… und meinen Namen Adonai habe ich ihnen nicht angezeigt“ (Exod. 6.); insofern nämlich die alten Väter unterrichtet worden waren im Glauben an die göttliche Allmacht, Moses aber mit größerer Fülle über die Einfachheit des göttlichen Wesens, da Exod. 3. gesagt wird: „Ich bin der ich bin,“ welchen Namen die Juden ausdrücken mit dem Worte „Adonai“, weil das am besten entsprechende Wort ihnen zu ehrwürdig war. Nachher aber zur Zeit der Gnade ist durch den Sohn Gottes allen offenbart worden das Geheimnis der Dreieinigkeit, nach Matth. ult.: „Gehet, lehrt alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.“ In einer jeden dieser Zeitepochen aber war immer die erste Offenbarung die bedeutendste. Denn dem Abraham, zu dessen Zeit die Menschen zuerst vom Glauben an einen Gott abfielen, wurde eine höhere Offenbarung gemacht wie dem Isaak, welchem gesagt wurde: „Ich bin der Gott Abrahams, deines Vaters,“ weil die an ihn gerichtete Offenbarung gegründet war auf der an Abraham ergangenen; und zu Jakob: „Ich bin der Gott Abrahams und Isaaks.“ Und ähnlich war die an Moses gerichtete Offenbarung bedeutungsvoller; denn sie ist die Grundlage aller späteren Prophezeiungen. Ebenso baut sich die Kirche auf der Grundlage der Offenbarung auf, welche den Aposteln betreffs des Glaubens an einen dreieinigen Gott gemacht worden, nach Matth. 16.: „Über diesen Felsen,“ nämlich deines Bekenntnisses, „will ich meine Kirche bauen.“ Mit Rücksicht auf das Geheimnis der Menschwerdung wurden die Propheten desto mehr unterrichtet je näher sie Christo waren, sei es nachher sei es vorher; in größerer Fülle aber noch nach Christo wie vor Christo, wie Paulus (Ephes. 3.) sagt. Soweit es jedoch auf die Richtschnur der menschlichen Thätigkeiten ankommt, ist die prophetische Erleuchtung eine verschiedene gewesen; nicht nach der Zeitenfolge, sondern gemäß der Verschiedenheit der menschlichen Angelegenheiten; denn „mangelt die Prophetie, so wird zerstreut werden das Volk.“ (Prov. 29.) Zu jeder Zeit also sind die Menschen betreffs ihrer Obliegenheiten unterrichtet worden, je nachdem es dem Heile der auserwählten förderlich war.
c) I. Die Stelle bei Gregor ist zu verstehen von der Zeit vor Christo mit Rücksicht auf das Geheimnis der Menschwerdung. II. Augustin schreibt (18. de civ. Dei 27.): „Wie zur ersten Zeit des assyrischen Reiches Abraham lebte, an den in offenster Weise die Verheißungen ergingen, so begann die Zeit der Propheten mit dem Anfange des westlichen Babylon, mit der Gründung nämlich der Stadt Rom, unter deren Herrschaft Christus geboren werden sollte, in dem alle jene Verheißungen, die bereits Abraham gemacht und dann von den Propheten durch Wort und Schrift weiter und näher bestimmt worden waren, ihre Erfüllung fanden. Während nämlich, seit Könige in Israel waren, immer da Propheten gefunden werden, nicht für die anderen Völker, sondern nur für Israel; so wurde dann, zur Zeit der Gründung der Stadt Rom, in mehr offenbarer Weise die Prophezeiung zugleich der Schrift anvertraut, damit sie auch den anderen Völkern, die von Christo zu erlösen waren, Nutzen brächte und nach und nach die Kunde von der Erwartung eines Erlösers weiter bekannt mache.“ Es hatte zur Zeit der Könige das Volk der Juden immer Propheten, weil es da frei war und deshalb über seine Pflichten besser belehrt werden mußte. III. Die Propheten, welche Christi Ankunft verkündeten, konnten nur bis Johannes dauern, der Christum gegenwärtig sah. Damit aber „schließt“ nach Hieronymus (l. c.) „der Heiland nicht Propheten aus; lesen wir doch in der Apostelgeschichte, Agabus habe prophezeit und die vier Töchter des Philippus.“ Der Apostel Johannes schrieb ebenso ein prophetisches Buch über das Ende der Kirche; und zu den verschiedensten Zeiten fehlten nicht Propheten, die freilich nicht eine neue Lehre des Glaubens verkündeten, jedoch der Regelung der menschlichen Thätigkeiten dem ewigen Endzwecke gemäß dienten. So berichtet Augustin (5. de civ. Dei 36.), „daß Theodosius Augustus zu Johannes in Ägypten sandte, der mit prophetischem Geiste begabt war, und daß er von ihm die Versicherung erhielt, er werde siegen.“
