Erster Artikel. Die Seele des Menschen kann zu Göttlichem hin fortgerissen oder verzückt werden.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Die Verzückung wird definiert als „eine Erhebung der Natur vermittelst höherer Kraft von dem aus, was gemäß der Natur ist, zu dem hin, was über die Natur hinausgeht.“ Dies ist aber gemäß der Natur des Menschen, daß er zu Göttlichem erhoben werde, nach Augustin (princ. Conf.): „Du hast uns gemacht, o Herr, für Dich; und unruhig ist unser Herz bis es nicht ruht in Dir.“ Also richtet sich die Verzückung nicht auf Göttliches. II: Dionnsius schreibt (8. de div. nom.), Gott habe allen Dingen in der Natur Gaben verliehen je nach ihrem Maße und ihrer Würde, und daß darin die Gerechtigkeit Gottes bestehe. Daß aber jemand erhoben wird zu dem, was seine Natur übersteigt, gehört weder zur Natur noch zur Würde des Menschen. III. Die Verzückung schließt ein gewisses Gewaltanthun in sich ein. Gott aber leitet uns nicht durch Gewalt und Zwang. (Dam. 2. de orth. fide 30.) Auf der anderen Seite sagt zu 2. Kor. 12. (Scio hominem) die Glosse: „Verzückung will heißen eine Erhebung gegen die Natur.“
b) Ich antworte, die Verzückung sei ein gewisses Gewaltanthun. Denn Gewalt ist etwas, „dessen Princip außen ist und wozu nichts beiträgt das, was Gewalt leidet.“ Zu Allem aber, wozu ein Ding seiner Natur nach sich hinneigt, trägt es selber mit den ihm verliehenen Fähigkeiten bei. Wer also von einem anderen, der außen steht, zu etwas gezogen oder fortgerissen wird, der wird zu etwas gezogen, was verschieden von dem ist, wohin er kraft seiner natürlichen Neigung strebt. Diese Verschiedenheit kann nun im Zwecke selber gefunden werden, wie wenn ein Stein nach oben geworfen wird; oder in der Art und Weise, wie wenn ein Stein schneller nach der Tiefe geht als seine Natur es mit sich bringt, weil er von einer fremden Kraft geworfen worden. So wird also die Seele ebenfalls fortgerissen: 1. zu etwas ihrem Zwecke Fremden, wenn sie z. B. zu den Strafen fortgerissen wird, nach Ps. 49: „Wann Er fortreißt; und niemanden giebt es, der Ihm mich entreißen kann;“ — 2. zu etwas ihrem Zwecke Gemäßes, jedoch der Art und Weise ihres Vorgehens Fremdes, wie wenn die Seele vom Sinnlichen abgezogen wird, was ihrer Natur entspricht; um das zu erkennen, wozu sie von Natur aus hingeordnet ist. Es darf dies aber nicht auf Grund von einer natürlichen Hinneigung geschehen, wie z. B. im Schlafe, der ja der Natur gemäß ist; es wird dies nicht „Verzückung“ d. h. Abgezogenwerden im eigentlichen Sinne genannt. Ein derartiges Abgezogenwerden von den Sinnen kann nun herrühren:
a) aus einer körperlichen Ursache, wie bei jenen, die infolge einer Krankheit sinnlos werden; —
b) kraft dämonischer Einwirkung, wie bei den besessenen; —
c) kraft göttlichen Einflusses; und dies Letztere heißt eigentlich „Verzückung“, insofern der Mensch durch göttliche Kraft von der sinnlichen Thätigkeit abgezogen wird zu Übernatürlichem, nach Ezechiel 8.: „Der Geist erhob mich über die Erde, zwischen Himmel und Erde, und leitete mich nach Jerusalem.“
c) I. Dem Menschen ist es natürlich, zu Gott hin zu streben vermittelst des Sinnlichen, nach Röm. 1, 20. Diese Art und Weise aber, von der jetzt die Rede, ist dem Menschen nicht natürlich. II. Zur Würde und zum Maße des Menschen gehört es, zu Göttlichem erhoben zu werden, da er nach dem Bilde Gottes gemacht ist. Weil aber das göttliche Gut unendlich überragt die Kräfte des Menschen, so muß er über seine Kräfte hinaus von Gott unterstützt werden, was durch jede Gnadengabe geschieht. Daß also der Mensch durch Verzückung zu Göttlichem erhoben wird, ist nicht gegen; jedoch über die Natur. III. In dem, was unseren Kräften zugänglich ist, hilft Gott nicht durch Gewalt. In dem aber, was unsere Kräfte übersteigt, müssen wir durch wirksameren Beistand unterstützt werden; derselbe kann Zwang genannt werden mit Rücksicht auf die Art und Weise der menschlichen Thätigkeit, nicht aber mit Rücksicht auf den Zweck der menschlichen Natur.
