Zweiter Artikel. Die Verzückung gehört rnehr zur Erkenntniskraft.
a) Sie geht mehr die begehrenden Vermögen an. Denn: I. Dionusius (4. de div. nom.) sagt: „Die Liebe verursacht bisweilen Verzückung.“ II. Gregor sagt (2. Dial. 3.): „Der da die Schweine hütete, fiel durch Wollust unter sich selbst; Petrus aber, den ein Engel löste und den die Verzückung befiel, war nicht außer sich, jedoch über sich selbst.“ Der verlorene Sohn aber fiel so tief wegen seines verkehrten Begehrens; also betrifft auch die Verzückung das Begehren und nicht das Erkennen. III. Zu Ps. 30. in titul. sagt Augustin: „Die Verzückung oder Ekstase vollzieht sich entweder aus Schrecken vor Irdischem oder weil der Geist hingerissen ist zu Himmlischem und das Tiefere vergißt.“ Der Schrecken aber ist im Begehren, also auch die eigentliche Verzückung. Auf der anderen Seite sagt Augustin zu Ps. 115. (Ego dixi): „Man nennt es Verzückung im eigentlichen Sinne, wenn nicht Schrecken die Seele den Sinnen entfremdet, sondern wenn sie durch irgend ein offenbarendes Einsprechen von oben zu Höherem hingerissen wird.“ Das Offenbaren aber gehört zum Erkennen; also auch die Verzückung.
b) Ich antworte, wird von der Verzückung gesprochen dem Wesen nach, mit Bezug auf das, wohin man verzückt wird, so könne sie nur zur Erkenntniskraft gehören. Denn die Verzückung sieht ab von der natürlichen Hinneigung dessen, der verzückt wird; die Thätigkeit der begehrenden Kraft aber ist eben ein Hinneigen zum Begehrenswerten. Mit Bezug auf die Ursache aber kann die Verzückung in der begehrenden Kraft ihren Grund haben. Denn weil das Begehren stark entstammt ist, kann es geschehen, daß wegen der Heftigkeit des Affektes der Geist den Sinnen entfremdet wird. Auch eine Wirkung der Verzückung ist in der begehrenden Kraft: das Ergötzen nämlich an dem, zu dessen Genusse die Seele verzückt worden. Deshalb sagt der Apostel, er sei verzückt worden bis zum dritten Himmel, was zur Betrachtung gehört; und in das Paradies, was zum Begehren gehört.
c) I. Die Verzückung im eigentlichen Sinne fügt etwas hinzu zur Ekstase oder zum bloßen Außersichsein; nämlich die Gewalt. Die Ekstase also kann zum Begehren gehören, wenn das Begehren jemandes z. B. strebt nach dem, was außer seiner Gewalt ist, und danach spricht Dionysius; denn die Liebe macht, daß man das Geliebte erstrebt, was außen ist; — deshalb fügt Dionysius hinzu: „Auch Gott, die Ursache von Allem, wird aus überfließender Liebe gleichsam außer Sich selbst, indem Er Allem Sein giebt.“ Sollte aber Dionysius dies von der eigentlichen Verzückung gesagt haben, so bezeichnete es die Ursache der Verzückung; nicht deren Wesen. II. Der Mensch hat ein vernünftiges Begehren und ein sinnliches. Gemäß dem vernünftigen wird er außer sich, wenn er ganz zu Göttlichem strebt mit Beiseitelassung dessen, wozu das sinnliche Begehren hinneigt. Gemäß dem sinnlichen wird der Mensch außer sich, wenn er sich ganz den Sinnen hingiebt, wie „jener, der da Schweine hütete, unter sich selbst fiel.“ Beiderseitig aber kann das im Begehren bestehende Übermaß ein Übermaß erzeugen in der Erkenntniskraft: entweder weil die Vernunft zu hohem Geistigen fortgerissen wird, entfremdet den Sinnen; oder weil sie zu einem Schauen von Phantasiegebilden fortgerissen wird oder zu phantastischen Erscheinungen. III. Wie die Liebe mit Rücksicht auf das Gute, so ist die Furcht mit Rücksicht auf das Böse eine Thätigkeit in dem begehrenden Teile. Also kann aus Beidem ein Verzücktwerden verursacht werden, zumal ja die Furcht aus Liebe entsteht, (Aug. 14. de civ. Dei 7.)
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