Erster Artikel. Das beschauliche Leben beschäftigt sich nicht mit der Vernunft allein.
a) Dies scheint aber. Denn: I. „Zweck des beschaulichen Lebens ist die Wahrheit“ (2 Metaph.);also eine bloße Thätigkeit der Vernunft. II. „Rachel heißt: Schauen des Princips und bedeutet das beschauliche Leben,“ sagt Gregor. (6. moral. 18.) Schauen das Princip aber geht allein die Vernunft an. III. „Das beschauliche Leben ruht von äußerlicher Thätigkeit.“ (Gregor.14. in Ezech.) Die Hinneigung des Begehrens aber geht gerade nach außen. Also hat das beschauliche Leben nur mit der Vernunft zu thun. Auf der anderen Seite sagt Gregor (I. c.): „Beschauliches Leben heißt: die Liebe zum Nächsten und zu Gott im Geiste bewahren und mit dem Verlangen dem Schöpfer allein anhängen.“
b) Ich antworte, das beschauliche Leben ist Sache jener, die in erster Linie ihre Absicht auf die Betrachtung der Wahrheit richten. Die Absicht selbst aber gehört dem Willen an, der ja auf den Zweck geht. Also ist das beschauliche Leben dem Wesen nach in der Vernunft, der Wille aber giebt den Anstoß zur Thätigkeit der Vernunft, wie er ja überhaupt alle Fähigkeiten in Bewegung setzt. Nun setzt die begehrende Kraft in Thätigkeit, um etwas zu schauen, entweder ihrem sinnlichen Teile nach oder dem geistigen Willen gemäß: bisweilen nämlich aus Liebe zur geschauten Sache, weil „da dein Herz ist, wo dein Schatz ist“ (Matth. 6.); bisweilen aber um der Liebe zur reinen Kenntnis willen, welche aus dem Anschauen folgt. Deshalb setzt Gregor das beschauliche Leben in die Liebe Gottes, insoweit jemand aus Liebe zu Gott entglüht, um dessen Schönheit rein zu betrachten. Und weil jeder Freude und Ergötzen hat, wenn er zu dem gekommen, was er liebt; deshalb ist der Abschluß des beschaulichen Lebens wieder im Willen, von wo die treibende Absicht ausgegangen.
c) I. Weil eben die Wahrheit Zweck der Beschauung ist, hat sie den Charakter des Ergötzlichen. II. Gott zu sehen, dazu treibt die Liebe an: „Das beschauliche Leben tritt mit Füßen alle irdische Sorge und entglüht nur im Verlangen, das Angesicht des Schöpfers zu sehen,“ sagt Gregor (I. c.). III. Die begehrende Kraft setzt auch die Vernunft in Thätigkeit, daß sie anschaue.
