Sechster Artikel. Die beschaulichen Orden stehen voran den thätigen.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Innocenz III. (Extr. de Regular. cap. licet) sagt: „Wie das größere Gut dem minderen vorgezogen wird, so der gemeine Nutzen dem Privatvorteile; und in diesem Falle wird mit Recht vorgezogen die Lehre dem Schweigen, die Sorge dem beschaulichen Betrachten, die Arbeit dem Ausruhen.“ Jener Orden ist aber besser, der auf ein größeres Gut sich bezieht. Also sind die thätigen Orden besser wie die beschaulichen. II. Jeder Orden hat zum Zwecke die Vollkommenheit der heiligen Liebe. Zu Hebr. 12. aber (nondum usque ad sanguinem restitistis) sagt Augustin (17. de verb. Dom. 1.): „Eine vollkommenere Liebe giebt es in diesem Leben nicht, wie jene, zu der die heiligen Märtyrer gelangt sind, die bis zum Vergießen des Blutes der Sünde widerstanden haben.“ Also stehen die Militärorden allen anderen voran, die da Kriegsdienste leisten. III. Um so vollkommener scheint ein Orden zu sein, je strenger undbeschwerlicher er ist. Es können aber thätige Orden ganz wohl strenger sein wie die beschaulichen. Also werden sie in diesem Falle besser sein. Auf der anderen Seite sagt der Herr bei Luk. 10.: „Maria,“ durch welche das beschauliche Leben versinnbildet wird, „hat den besten Teil erwählt.“
b) Ich antworte, man müsse die verschiedenen Orden mit einander vergleichen zuvörderst und zwar vorzugsweise mit Rücksicht auf den Zweck; und dann, aber in untergeordneter Weise, mit Rücksicht auf die Übungen, mit denen man zur Vollkommenheit gelangen will. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß jener Orden schlechthin voransteht, dessen Zweck ein höherer ist; der Vergleich mit Rücksicht auf die Übungen der Vollkommenheit berücksichtigt nur das Zweckdienliche, was also nur wegen des Zweckes den Charakter des Guten hat. Jener Orden also ist schlechthin einem anderen vorzuziehen, der schlechthin einen höheren Zweck hat. Ist aber der Zweck der nämliche, so kommt es auf die Beurteilung der Übungen an; nicht zwar ob die eine dem Umfange nach höher steht als die andere, sondern auf Grund ihres Verhältnisses zum Zwecke. Deshalb wird auch in den collationes Patrum (collat. 2. cap. 2.) die Ansicht des heiligen Antonius angeführt, welcher die Unterscheidungskraft, die discretio, vermöge deren jemand Alles je nach dem Werte des Einzelnen abzumessen vermag, den Fasten und Nachtwachen und Ähnlichem vorzieht. Demnach muß man sagen, das Werk des thätigen Lebens sei ein doppeltes: 1. jenes, welches aus der Fülle der Betrachtung sich ableitet wie die Lehre und die Predigt, wonach „den vollkommenen Männern nach ihrer Betrachtung des Göttlichen das Andenken an die Süßigkeit Gottes entquillt“ (Gregor. hom. 5. in Ezech.); — und das steht der einfachen Betrachtung voran, wie es mehr ist, anderen zu leuchten als bloß in sich Licht zu haben; — 2. jenes, welches durchweg in nach außen gerichteter Thätigkeit besteht, wie kranke pflegen, Almosen geben u. dgl., was, ausgenommen den Fall der Notwendigkeit, weniger ist als die betrachtende Thätigkeit. Danach also stehen unter den Orden am höchsten jene, welche zum Zwecke haben das Lehren, Predigen und Ähnliches, die mit einem Worte das Ergebnis ihrer inneren Betrachtung anderen mitteilen; denn diese Orden stehen am nächsten der Vollendung des bischöflichen Standes, wie ja auch in anderen Dingen „der Endpunkt des tiefer Stehenden berührt den Anfang dessen, was höher steht,“ nach Dionysius. (7. de div. nom.) Den zweiten Rang nehmen ein die rein beschaulichen; den dritten die nur nach außen hin thätigen. Unter den einzelnen Orden aber, die auf ein und derselben Stufe stehen, kann ein Vorrang angenommen werden, insofern der eine Orden eine höhere Thätigkeit auf der nämlichen Stufe entfaltet als der andere; wie unter den Werken der thätigen Nächstenliebe es höher steht, gefangene zu erlösen als fremde aufzunehmen; und unter den Thätigkeiten des beschaulichen Lebens das Gebet höher steht wie die Lesung. Ebenso kann der Vorrang bemessen werden, je nachdem ein Orden auf mehrere solche Thätigkeiten sich richtet wie der andere oder bessere Vorschriften hat, um den nämlichen Zweck zu erreichen.
c) I. Diese Dekretale handelt über das thätige Leben, insoweit es auf das Heil der Seelen sich richtet. II. Die Militärorden haben unmittelbarer den Zweck, das Blut der Feinde zu vergießen wie das eigene, was Letzteres auf das Martyrium Bezug hat. Jedoch können immerhin solche Ordenspersonen leichter das Verdienst des Martyrtums erlangen und mit Bezug darauf höher stehen wie die übrigen; wie ja auch die Werke der thätigen Nächstenliebe manchmal höher stehen als die beschauliche Thätigkeit. III. Nicht die Strenge der Regeln gerade ist das Empfehlenswerteste in einem Orden, wie der heilige Antonius sagt. (Collat. Patr. 2. cap. 2.) Und Isaias 58, 5.: „Ist denn dies das Fasten, was ich erwählt habe, den ganzen Tag seine Seele quälen?“ Die Strenge dient in den Orden nur der Abtötung des Fleisches; und „geschieht diese ohne Unterscheidungskraft, so ist Gefahr mit ihr verbunden,“ sagt Antonius (l. c.). Jener Orden also steht höher, dessen Regeln mit ihrer Strenge mehr im Verhältnisse stehen zum Zwecke des Ordens; wie z. B. wirksamer der Keuschheit dient die Abtötung des Fleisches im Fasten, also Hunger und Durst, wie die Entblößung von Kleidern oder Kälte und Nacktheit oder körperliche Arbeit.
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