Siebenter Artikel. Der gemeinsame Besitz vermindert nicht die Vollkommenheit in einem Orden.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Matth. 19. werden wir ermahnt, alles den armen zu geben, wenn wir vollkommen sein wollen. II. 1. Kor. 7. ermahnt Paulus die jungfräulichen Seelen „ohne Sorge zu sein;“ und Matth. 6. heißt es „wir sollen nicht für den morgigen Tag sorgen.“ Der Gemeinbesitz aber schließt solche Sorge ein. III. Reichtum im gemeinsamen Besitz bewirkt, daß auch die einzelnen nicht ohne Besitz sind, wie Hieronymus schreibt an den Bischof Heliodorus über einige: „Reicher sind sie als Mönche wie sie in der Welt gewesen sind; unter dem armen Christus besitzen sie, was sie unter dem reichen Teufel nicht besessen haben; die Kirche hat jene reich gemacht, die man in der Welt früher für Bettler hielt.“ Also darf ein Orden keinen Gemeinbesitz haben. IV. Gregor erzählt (3. moral. 9.) von einem sehr weisen Manne, Namens Isaak, daß „als die Schüler ihm zum Gebrauche des Klosters Acker anboten, er als wahrer Hüter der Armut sprach: Ein Mönch, der auf Erden Besitztum sucht, ist kein Mönch.“ Das aber gilt vom Gemeinbesitze eines Klosters, der ihm angetragen ward. V. Der Herr belehrt über die Vollkommenheit des Ordensstandes seine Jünger folgendermaßen (Matth. 10, 9.): „Habet nicht im Besitze weder Gold noch Silber noch Geld in eueren Gürteln oder einen Beutel auf dem Wege.“ „Dadurch“, sagt Hieronymus, „tadelt er jene Philosophen, die im Volke Bactroperatae genannt wurden, welche als Verächter der Welt sich hinstellten und Alles für nichts erachteten, ihren Beutel aber mit sich trugen.“ Also etwas für sich behalten, sei es im Gemein- oder Privatbesitze, vermindert die Ordensvollkommenheit. Auf der anderen Seite sagt Prosper (2. de vit. contempl. 9.): „Also ist es klar, der Ordensmann müsse um der Vollkommenheit willen Privatbesitz verachten; es könne jedoch unbeschadet der Vollkommenheit gemeinsam etwas besessen werden.“
b) Ich antworte, die Vollkommenheit bestehe nicht wesentlich in der Armut, sondern im: „und wir sind Dir nachgefolgt,“ also in der Nachfolge Christi. Die Armut ist nur ein Mittel und Werkzeug der Vollkommenheit. Deshalb sagt der Abt Moses (collat. Patr. i. cap. 7.): „Fasten, Nachtwachen, Schriftbetrachtung, Verzichten auf das Vermögen ist nicht die Vollkommenheit, sondern es sind diese Dinge alle nur Werkzeuge der Vollkommenheit.“ Der Reichtum aber hindert die Vollkommenheit in dreifacher Weise und ist demgemäß die Armut ein Werkzeug der Vollkommenheit. Der Reichtum hindert die Vollkommenheit 1. nach Matth. 13.: „Was aber gesäet ist auf den Dornen, das ist derjenige, der das Wort Gottes hört und die Sorge um das Zeitliche und der täuschende Schein des Reichtums erstickt das Wort;“ — 2. nach Matth. 19.: „Leichter ist es, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe wie ein reicher ins Himmelreich;“ denn, bemerkt Hieronymus: „Die Reichtümer, die man besitzt, werden mit großen Schwierigkeiten verachtet, wenn auch solche Verachtung schlechthin genommen möglich ist, weshalb der Herr nicht sagte, es sei unmöglich für einen reichen, in das Himmelreich einzugehen;“ der Reichtum also zieht zu leicht das Herz nach sich; — 3. nach Ps. 48.: „Die da auf ihre Kraft bauen und sich rühmen der Menge ihrer Reichtümer,“ wonach der Reichtum die eitle Ehrgier befördert. Das erste Hindernis also ist vom Reichtum unzertrennlich, mag er groß oder klein sein. Denn immerdar muß der Mensch besorgt sein um den Erwerb und die Bewahrung der äußeren Dinge. Werden aber diese Dinge nicht in großem Umfange, sondern nur mäßig gesucht, soviel zum einfachen Lebensunterhalte gehört; so hindert eine solche Sorge den Menschen nicht viel, so daß sie nicht viel der Vollkommenheit entgegen ist. Nicht alle derartige Sorge verbietet nun der Herr, sondern die überflüssige und verderbliche, wie Augustin zu Matth. 6. (2. de serm. Dom. in monte 16.; de op. mouachi. 26.) sagt: „Dies sagt der Herr nicht, damit man nicht sich das Notwendige verschaffen soll; sondern damit man nicht um dessentwillen, mit Rücksicht nämlich auf zeitlichen Gewinn, thue, was das Evangelium zu thun gebietet.“ Der Überfluß im zeitlichen Besitze bringt auch größere, überflüssige Sorge mit sich, welche den Menschen sehr zerstreut und hindert, daß sich sein Geist zu Hohem, Göttlichem erhebt. Die anderen zwei Hindernisse der Vollkommenheit also, welche mit dem zeitlichen Besitze verbunden sind, nämlich die Anhänglichkeit an den Reichtum und der daraus folgende eitle Ruhm, betreffen bloß den übermäßigen zeitlichen Besitz. Nun ist es ein großer Unterschied, ob der übermäßige oder der maßvolle zeitliche Besitz ein Privatbesitz sei oder ein der Gemeinschaft zugehöriger. Denn die Sorge für den Privatbesitz ist ein Ausfluß der Selbstsucht, wonach jemand sich selber um des Zeitlichen willen liebt; während die Sorge um den Gemeinbesitz ein Ausfluß der Nächstenliebe ist, die „nicht sucht, was zum Privatvorteil gehört.“ Und weil ein Orden zum Zwecke hat die Vollkommenheit der heiligen Liebe, wonach „die Liebe Gottes vollendend einwirkt bis zur Verachtung der eigenen Person,“ so widerstreitet der Ordensvollkommenheit der Privatbesitz, die Sorge aber um den Besitz aller kann zur heiligen Liebe gehören, obgleich dadurch vielleicht eine an sich höhere Thätigkeit der Liebe, wie z. B. etwa die Betrachtung oder die Belehrung des Nächsten, gehindert wird. Daraus geht hervor, daß ein übermäßiger Gemeinbesitz, sei es in unbeweglichen sei es in beweglichen Gütern, ein Hindernis für die Vollkommenheit ist, obgleich er solche nicht ganz und gar ausschließt. Ein geringer Gemeinbesitz aber, wie er für ein einfaches Leben genügt, hindert nicht die Ordensvollkommenheit; wenn nämlich die Armut bezogen wird auf den gemeinsamen Zweck aller Orden, der da ist: dem göttlichen Dienste sich hingeben. Wird jedoch die Armut bezogen auf den besonderen, nächsten Zweck eines Ordens, so wird ein solcher Orden in der Armut um so vollkommener sein je mehr dieselbe im entsprechenden Verhältnisse zum besonderen, nächsten Zwecke steht. Denn zu den Werken der thätigen Nächstenliebe bedarf der Mensch einer gewissen Menge in den äußeren Dingen; zum beschaulichen Leben hat er wenig notwendig; nach der bereits oft angeführten Stelle bei Aristoteles (10 Ethic. 8.), wonach das Überflüssige im Besitze ein Hindernis ist für die Beschaulichkeit. Hat also ein Orden zum Zwecke den Kriegsdienst oder die Pflege von Fremdlingen oder sonst etwas Ähnliches, so würde er unvollkommen sein, wenn er keinen Gemeinbesitz hätte. Die beschaulichen Orden aber sind um so vollkommener, je weniger ihr zeitlicher Besitz ihnen Gelegenheit bietet, um Äußerliches Sorge zu tragen; denn um so mehr hindert die Sorge um das Zeitliche die Vollkommenheit in einem Orden, je mehr dieser Orden die Sorge um das Geistige, Beschauliche zum Zwecke hat. Nun erfordern jene Orden offenbar mehr Sorge um das Geistige, welche nicht nur die reine Betrachtung pflegen, sondern auch den Zweck haben, das Betrachtete anderen mitzuteilen, als jene, die nur der Betrachtung gewidmet sind. Solchen Orden also geziemt eine Armut, welche die allermindeste Sorge mit sich bringt. Die allergeringste Sorge aber macht es in dieser Beziehung, die zum Gebrauche der Menschen notwendigen Dinge aufzubewahren, welche man zu gelegener Zeit sich verschafft hat. Dreifach ist demnach gemäß den Stufen in den Orden der Grad in der Armut. Denn jenen Orden, deren Zweck die werkthätige Liebe ist, kommt viel Besitz im Gemeinsamen zu; — den rein beschaulichen gebührt ein mäßiger Besitz, wenn nicht mit diesen Klöstern die Sorge für arme oder kranke verbunden ist; — den beschaulichen Orden, die das Betrachtete anderen durch Belehrung mitteilen sollen, kommt es am wenigsten zu, sich mit äußeren Sorgen zu beschäftigen; und dieses Wenige hat statt in der Weise, daß sie das Notwendige aufbewahren, was zur geeigneten Zeit beschafft worden ist. Dies lehrte der Herr durch sein Beispiel; denn Er hatte dem Judas den Beutel gegeben, worin das Angebotene gelegt und aufbewahrt wurde. (Joh. 12.) Was Hieronymus zu Matth. 17. in fine sagt, steht dem nicht entgegen: „Wenn jemand den Einwurf machen will, daß ja auch Judas im Beutel Geld trug, so antworten wir, der Herr habe es für unrecht gehalten, das, was den armen gehörte, zu seinem Gebrauche zu verwenden;“ dadurch nämlich, daß er den Tribut für sich nicht daraus bezahlte. Denn diese „armen“ waren vorzugsweise seine eigenen Jünger, deren Bedürfnisse durch das Geld im Beutel befriedigt wurden. Nach Joh. 4. „waren ja die Jünger in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen;“ und nach Joh. 13. „meinten die Jünger, daß dem Judas, weil er den Beutel hatte, vom Herrn gesagt worden war: Kaufe, was wir für den Festtag notwendig haben oder damit er den armen etwas gebe.“ Also ist das Aufbewahren im Gemeinsamen von Geld oder von anderen Dingen, die zum Leben erforderlich sind, zum Unterhalte der Ordensleute in ein und demselben Kloster oder anderer beliebiger armen, durchaus der Vollkommenheit entsprechend, die Christus durch sein Beispiel gelehrt hat. Aber auch nach der Auferstehung des Herrn bewahrten die Apostel, von denen alle Ordensvollkommenheit ihren Anfang genommen hat, den Preis für die Äcker und verteilten denselben je nach Bedürfnis.
c) I. Die Armut ist nach den Worten des Heilandes selbst nur ein Weg, nur ein Werkzeug für die Vollkommenheit (Kap. 186, Art. 8) und zwar im Vergleich zu den zwei anderen Gelübden das niedrigste Werkzeug. Weil also das Werkzeug, um vollkommen zu sein, nicht so umfangreich wie möglich sein muß, sondern zweckentsprechend; so ist jene Armut vollkommen, die dem unmittelbaren nächsten Zwecke eines Ordens am besten entspricht. So giebt auch der Arzt nicht von der Medizin soviel als möglich, sondern wie viel zur Heilung der Krankheit gehört. Dabei kann bestehen, daß ein Orden mit Rücksicht auf das hohe Maß der Armut, die in ihm gepflegt wird, mehr Vollkommenheit hat wie ein anderer; daß aber dieser andere schlechthin als Orden vollkommener ist, weil in ihm ein höheres Maß Gehorsam und Enthaltsamkeit sich findet, welche beide Gelübde höher stehen wie das der Armut und sonach der Maßstab sind, um die Vollkommenheit eines Ordens schlechthin zu bemessen. Oder nach Augustin (2. de serm. Dom. 17.): „Wenn wir irgend etwas Gutes thun, denken wir nicht an zeitlichen Lohn, der durch den morgigen Tag bezeichnet wird, sondern an den ewigen.“ II. Mit Matth. 6, 34. will der Heiland nicht sagen, wir sollen nichts für den morgigen Tag, also für die Zukunft aufbewahren. Das würde gefährlich sein, wie der heilige Antonius (l. c.) zeigt: „Diejenigen, welche die Entblößung von allem Zeitlichen so weit treiben, daß sie auch nicht den Lebensunterhalt für einen Tag oder einen Denar aufbewahren wollen oder Ähnliches thun, sahen wir in der Weise getäuscht, daß sie das begonnene Werk der Vollkommenheit nicht fortsetzen konnten, sondern in die Weltzurückkehrten.“ Und Augustin sagt (de op. monach. 23.): „Wenn dieses Wort des Herrn: Sorget nicht für den morgigen Tag, so verstanden wird, daß rein nichts für den morgigen Tag aufbewahrt wird; so könnten dies bereits jene nicht erfüllen, welche sich durch viele Tage dem Anblicke der Menschen entziehen, um dem Gebete zu leben… Oder sind sie vielleicht deshalb um so heiliger, weil sie den Vögeln ähnlicher sind?… Wenn sie mit diesem Worte des Evangeliums in die Enge getrieben werden, man solle nicht um den morgigen Tag besorgt sein, so können sie mit vollem Rechte antworten: Warum also hat der Herr selber einen Beutel gehabt, wohinein das dargebotene Geld gelegt wurde? Warum hat Gott so lange Zeit vorher, ehe die Hungersnot kam, den heiligen Patriarchen Getreide vorbereitet? Warum sorgten die Apostel selbst so sehr dafür, daß die bedürftigen gläubigen das Notwendige bekämen?“ Das Verständnis dieser Stelle ist alsonach Hieronymus (zu Matth. 6, 34.) dieses: „Es genügt uns, das zu bedenken, was die Bedürfnisse der Gegenwart mit sich bringen; überlassen wir das, was zukünftig und ungewiß ist, Gott.“ Oder nach Chrysostomus(16. in op. imp. Matth.): „Es genügt die Arbeit um dessentwillen, wasnotwendig ist; arbeite nicht überflüssigerweise um des Überflüssigen willen.“ III. Das Wort des Hieronymus bezieht sich darauf, wenn Besitz im Übermaße vorhanden ist oder derselbe als ein Privatbesitz von den Mönchen angesehen wird, den sie zur Müßigkeit oder sonstwie mißbrauchen. Es gilt dasselbe nicht von mäßigem Gemeinbesitz, der für alle insgemein verwaltet wird, damit einem jeden der notwendige Lebensunterhalt gereicht werde.Denn ganz dasselbe ist es, daß ein jeder den notwendigen Lebensunterhalt hat, und daß das entsprechende gemeinsam Verwaltete aufbewahrt werde. IV. Isaak fürchtete, durch die Annahme von Besitz zu übermäßigem Reichtume nach und nach zu gelangen, durch dessen Mißbrauch dann die Vollkommenheit gehindert würde. Deshalb fügt Gregor hinzu: „So fürchtete er, die Sicherheit seiner Armut zu verlieren, wie die geizigen reichen pflegen, die vergänglichen Reichtümer zu behüten.“ Nicht aber wird gelesen, er hätte sich geweigert, etwas zum Unterhalte des Lebens Notwendiges anzunehmen. V. Nach 1 Polit. 5. et 6. bilden Brot, Wein u. dgl. den natürlichen Reichtum, Geld den sogenannten künstlichen. Einige Philosophen also wollten nach der Natur leben und somit nicht Geld in Gebrauch nehmen, sondern nur natürliche Dinge. Hieronymus zeigt nun, der Ausspruch des Herrn untersage Beides; nämlich daß dies ein und dasselbe sei: Geld haben oder das, was Geldes wert ist. Obgleich der Herr aber geboten hat, es solle kein Jünger für sich allein, wenn er zum Predigen gesandt wird, dergleichen bei sich tragen, so hat Er doch nicht damit verboten, daß das zum Leben Notwendige gemeinsam aufbewahrt werden kann. Wie jene Worte des Herrn zu verstehen seien, vgl. Kap. 185, Art. 6 ad II; und I., II. Kap. 108, Art. 2 ad III.
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