Achter Artikel. Eine höhere Zukömmlichkeit, die menschliche Natur anzunehmen, spricht für den Sohn.
a) Folgende Gründe sprechen für die geringere Zukömmlichkeit rücksichtlich des Sohnes. I. Das Geheimnis der Menschwerdung sollte dazu dienen, die Menschen zur wahren Kenntnis Gottes zu führen, nach Joh. 18.: „Darin bin ich geboren und dazu kam ich in die Welt, daß ich Zeugnis gebe der Wahrheit.“ Gerade aber daß der Sohn kam, war für viele ein Hindernis, die Wahrheit Gottes zu erkennen, indem sie das, was vom Sohne seiner menschlichen Natur nach gesagt wird, bezogen auf die Person selber des Sohnes. So nahm Arius die Ungleichheit der drei Personen an, weil gesagt ist (Joh. 14.): „Der Vater ist größer wie ich;“ welcher Irrtum nicht stattgehabt hätte, wenn anstatt des Sohnes der Vater Fleisch angenommen hätte; denn niemand hätte gemeint, der Vater sei geringer wie der Sohn. II. Die eigentliche Wirkung der Menschwerdung scheint zu sein die Erneuerung oder neue Schöpfung des Menschengeschlechts, nach Gal. ult.: „In Christo Jesu gilt weder die Beschneidung etwas noch die Vorhaut, sondern die neue Kreatur.“ Schaffen aber wird dem Vater als Vollkommenheit angepaßt oder appropriiert. Also hätte es sich mehr geschickt, daß der Vater gekommen wäre wie der Sohn. III. Die Menschwerdung hat zum Zwecke den Nachlaß der Sünden, nach Matth. 1.: „Du wirst seinen Namen Jesus nennen; denn Er wird befreien sein Volk von dessen Sünden.“ Der Nachlaß der Sünden aber wird dem heiligen Geiste zugeschrieben, nach Joh. 22.: „Empfanget den heiligen Geist; wem ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen.“ Also wäre besser der heilige Geist Mensch geworden. Auf der anderen Seite schreibt Damascenus (3. de orth. fide 1.): „Im Geheimnisse der heiligen Menschwerdung ist geoffenbart worden die Weisheit und die Kraft Gottes: die Weisheit, weil der Herr für den schwersten Preis die angemessenste Zahlung gefunden; die Kraft, weil Er machte, daß der besiegte überwand.“ Weisheit und Kraft aber sind Vollkommenheiten, welche dem Sohne eigens angepaßt oder appropriiert werden, nach 1. Kor. 1., wo der Apostel den Herrn Jesum Christum „Gottes Weisheit und Gottes Kraft“ nennt. Also war es zukömmlich, daß die Person des Sohnes Fleisch annahm.
b) Ich antworte, es sei im höchsten Grade zukömmlich gewesen, daß der Sohn Gottes Fleisch annahm: 1. von seiten der Einigung. Denn in zukömmlicher Weise wird Ähnliches miteinander verbunden. Beim Sohne aber, der ja das Wort des Vaters ist, wird berücksichtigt ein gewisses zukömmliches Verhältnis zur ganzen Kreatur im allgemeinen; denn das Wort, d. h. die Idee des Künstlers, ist die Exemplarähnlichkeit dessen, was vom Künstler ausgeht. Also ist das Wort Gottes, das da ist das ewige Bild des Vaters, die Ähnlichkeit und die Exemplaridee für die ganze Kreatur. Wie somit durch die Teilnahme an dieser Ähnlichkeit die Kreaturen in ihren eigenen Wesensgattungen hergestellt sind, jedoch in beweglicher, veränderlicher Weise; so war es zukömmlich, daß durch die Einigung des „Wortes“ mit der Kreatur und zwar durch eine Einigung, die nicht bloß auf reine Mitteilung oder Teilnahme sich stützte, sondern in der Person selber sich vollzog, also durch die persönliche, der Veränderung nicht unterliegende Weise die Kreaturen wieder erneuert würden für die ewige und unveränderliche Vollendung. Mit Rücksicht ferner auf die Weisheit, welche zumal dem „Worte“ appropriiert wird, hat das „Wort“ ein zukömmliches Verhältnis zum Menschen insbesondere. Von dieser Quelle nämlich geht alle Weisheit aus; und von da aus wird also der Mensch in der Vernunft, welche sein ihn wesentlich unterscheidendes hauptsächliches Vermögen ist, vollendet, indem er teilnimmt am „Worte“ Gottes; wie der Schüler unterrichtet wird durch das Wort des Lehrers. Deshalb heißt es Ekkli. 11.: „Eine Quelle der Weisheit ist das Wort Gottes in der Höhe.“ Damit sonach die Vollendung des Menschen insbesondere befördert werde, war es höchst zukömmlich, daß der Sohn Gottes Mensch würde. 2. Von seiten der Einigung als der Erfüllung der Vorherbestimmung, derjenigen nämlich, die vorherbestimmt werden zum ewigen Erbe, das nur den Kindern gebührt, nach Röm. 8.: „Wenn Kinder, dann auch Erben.“ Und deshalb schickte es sich, daß durch Vermittlung desjenigen, welcher der Natur nach Sohn ist, die Menschen teilnähmen an dieser Ähnlichkeit durch die Adoptivkindschaft, nach Röm. 8.: „Die Er vorausgewußt, die hat Er vorausbestimmt, gleichförmig zu werden dem Bilde seines Sohnes.“ 3. Von seiten der Sünde des Stammvaters, der ja durch die Menschwerdung das Heilmittel entgegengestellt wird. Denn der erste Mensch hatte gesündigt durch ungeregeltes Begehren nach Wissen. Also war es zukömmlich, daß er durch das „Wort“ der wahren Weisheit zu Gott zurückgeführt würde.
c) I. Die menschliche Bosheit kann mit Allem Mißbrauch treiben; thut sie ja dies sogar mit der Güte Gottes, nach Röm. 2.: „Oder verachtest du die Reichtümer seiner Güte?“ Wenn also auch der Vater Mensch geworden wäre, so hätte es an Anlässen zu Irrtum der menschlichen Bosheit nicht gefehlt. Man hätte z. B. sagen können, der Sohn genüge nicht, um das menschliche Geschlecht zu erlösen. II. Die erste Erschaffung der Dinge war von der Macht Gottes ausgegangen durch das „Wort“. Also schickte es sich, daß auch die neue Schöpfung von der Macht Gottes ausginge durch das „Wort“, wie Paulus sagt (2. Kor. 5.): „Gott versöhnte in Christo die Welt mit Sich.“ III. Eigen dem heiligen Geiste ist es, das Geschenk oder die Gabe des Vaters und des Sohnes zu sein. Der Nachlaß der Sünden aber geschieht durch den heiligen Geist wie durch die Gabe Gottes. Also war es zukömmlicher, daß zur Rechtfertigung der Menschen der Sohn Fleisch annahm, damit der heilige Geist als seine Gabe erscheine.
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