Siebenter Artikel. Eine einzelne göttliche Person kann annehmen zwei menschliche Naturen.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Beim Geheimnisse der Menschwerdung hat die menschliche Natur kein anderes Fürsichbestehen wie das der göttlichen Person. Würde also eine Person zwei menschliche Naturen annehmen, so bestände ein einziges Fürsichbestehen oder ein einziges suppositum für zwei Naturen ein und derselben Wesensgattung. Dies aber scheint einen Widerspruch zu enthalten, da die Natur ein und derselben Gattung eben nur vervielfältigt wird auf Grund der Vervielfältigung des Fürsichbestehens, des suppositum. II. Es wäre dann nicht ein Mensch vorhanden; denn es handelte sich nicht um eine einige menschliche Natur. Es wären auch nicht mehrere vorhanden; da nur ein fürsichbestehender, ein suppositum da sein würde. III. Beim Geheimnisse der Menschwerdung ist die ganze göttliche Natur vereint mit der ganzen angenommenen menschlichen; d. h. mit jedem Teile derselben. Denn „Christus ist vollendeter Mensch; ganz Gott, ganz Mensch“ (Damasc. I. c.). Aber zwei menschliche Naturen können nicht ganz und gar miteinander geeint werden; dazu gehörte, daß die Seele des einen verbunden wäre dem Körper des anderen und daß zwei Körper zugleich am selben Orte wären; was eine Vermengung der Naturen anrichten würde. Also kann eine einzige Person nicht zwei menschliche Naturen annehmen. Auf der anderen Seite kann was der Vater kann auch der Sohn. Der Vater aber kann nach der Menschwerdung des Sohnes eine andere menschliche Natur annehmen als die der Sohn angenommen; da durch die Menschwerdung des Sohnes in nichts vermindert ist die Macht des Vaters oder des Sohnes. Also kann auch der Sohn nach der Menschwerdung noch eine andere menschliche Natur annehmen außer derjenigen, die Er angenommen hat.
b) Ich antworte; was nur auf etwas Bestimmtes seine Macht erstreckt und nicht weiter, das hat eine auf dieses Bestimmte beschränkte Macht. Die Macht der göttlichen Person aber ist unendlich, unbeschränkt. Also kann man nicht sagen, eine göttliche Person hätte so die eine menschliche Naturangenommen, daß sie eine zweite nicht annehmen könnte. Denn es würde dann scheinen, daß die Persönlichkeit der göttlichen Natur so umschlossen würde von dieser einen menschlichen Natur, daß zur Einheit dieser Persönlichkeit keine zweite menschliche Natur angenommen werden könnte. Das aber ist unmöglich, da das Ungeschaffene niemals vom Geschaffenen umschlossen werden kann. Mag also das „Annehmen“ von seiten Gottes betrachtet werden gemäß der wirkenden Kraft als dem Princip der Einigung oder gemäß dem Abschlüsse in der Persönlichkeit, immer muß man die Möglichkeit anerkennen, daß die göttliche Person außer der menschlichen Natur, die von ihr angenommen ward, noch eine andere, nämlich eine zweite menschliche Natur annehmen kann.
c) I. Die geschaffene Natur wird vollendet in ihrem Wesenscharakter durch die Wesensform, welche vervielfältigt wird gemäß der Teilung des Stoffes. Wenn also aus der bloßen Zusammensetzung von Stoff und Form ein neues Fürsichbestehen sich ergiebt, so folgt, daß die betreffende Natur vervielfältigt wird gemäß der Vervielfältigung des Fürsichbestehens oder der supposita. Im Geheimnisse der Menschwerdung aber wird durch die Einigung von Leib und Seele kein neues Fürsichbestehen hergestellt (Art. 6.). Also kann eine Zahlmehrheit bestehen von seiten der Natur wegen der Teilung des Stoffes, ohne daß das Fürsichbestehen oder suppositum des einen vom anderen getrennt wäre. II. Man könnte sagen, es seien im genannten zwei Menschen wegen der zwei Naturen, ohne daß zwei Fürsichbestehende, also zwei Personen oder supposita da wären; wie im umgekehrten Falle drei Personen ein Mensch sein würden wegen der Einheit der Natur. Es scheint dies aber nicht. Denn man muß der Namen sich bedienen gemäß dem daß sie beigelegt sind, um etwas zu bezeichnen; und das kann man schließen aus dem, was uns umgiebt. Wir müssen deshalb, um zu finden, in welcher Weise diese Namen bezeichnen und zudem in Verbindung mit Anderem dies thun, betrachten, was uns umgiebt. Da sehen wir nun, daß niemals von einer bestimmenden Form her ein Name in der Mehrzahl beigelegt wird, es sei denn, daß mehrere Fürsichbestehende, supposita, vorhanden wären. Einen Menschen z. B., der zwei Kleider trägt, bezeichnen wir nicht als zwei Menschen; und wer zwei Vollkommenheiten hat, der wird bezeichnet als einer mit zwei Vollkommenheiten. Die angenommene Natur nun verhält sich wie ein Kleid, wenn auch das Beispiel nicht allseitig paßt (Kap. 2, Art. 6 ad I.). Und so würde, wenn eine göttliche Person zwei menschliche Naturen annähme, man sagen müssen, es sei dies ein Mensch mit zwei Naturen. Freilich werden viele Menschen manchmal ein Volk genannt, weil sie in etwas Einem Zusammentreffen; dies geschieht aber nicht auf Grund der Einheit im Fürsichbestehen, im suppositum. Und ähnlich wenn zwei göttliche Personen eine einzige menschliche Natur annähmen, so würden sie ein Mensch genannt werden; nicht aber auf Grund der Einheit im Fürsichbestehen, sondern weil sie in etwas Einem Zusammentreffen. III. Die göttliche und menschliche Natur stehen nicht in einem ebenmäßigen Verhältnisse zu einer göttlichen Person. Vielmehr steht zuerst zu dieser Person in Beziehung die göttliche Natur, welche Eines mit ihr ist von Ewigkeit. Die menschliche Natur steht erst in zweiter Linie in Beziehung zur gleichen göttlichen Person, nämlich als in der Zeit angenommene; und zwar nicht deshalb angenommen, damit die menschliche Natur dem Sein nach die Person selbst sei, sondern damit die betreffende Person subsistiere in der menschlichen Natur. Denn der Sohn Gottes ist zwar seine Gottheit; aber Er ist nicht seine Menschheit. Deshalb wird dazu daß die menschliche Natur von der göttlichen angenommen werde, erfordert, daß die göttliche Natur in persönlicher Einigung verbunden werde mit der ganzen angenommenen Natur, d. h. gemäß allen Teilen und Vermögen derselben. Demnach wären also die Beziehungen zweier angenommener Naturen zu der entsprechenden göttlichen Person durchaus einander gleichförmig; und nicht würde die eine dieser beiden Naturen die andere annehmen. Also wäre es durchaus nicht nötig, daß die eine derselben durchaus mit der anderen vereinigt würde, d. h. alle Kräfte und Teile der einen mit allen Kräften und Teilen der anderen.
