Dreizehnter Artikel. Die heiligmachende Gnade folgt der Einigung mit dem Worte.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Diese Gnade scheint ganz dieselbe zu sein wie die Gnade der Einigung. Augustin nämlich sagt (de praed. Sanctor. 15.): „Kraft der gleichen Gnade wird jeder Mensch vom Beginne seines Glaubens an Christ, kraft deren jener Mensch vom Beginne an Christus geworden ist,“ wovon das Eine zur heiligmachenden Gnade, das Andere zu jener der Einigung gehört. Also folgt die eine nicht der anderen, sondern ist dieselbe. II. Die Vorbereitung geht vorher der Vollendung, wenigstens der vernünftigen Auffassung nach. Die heiligmachende Gnade aber scheint eine gewisse Vorbereitung zu sein für die Gnade der Einigung. Also geht sie voran. III. Das Gemeinsame geht vorher dem Besonderen und Eigenen. Die heiligmachende Gnade aber ist gemeinsam Christo und den heiligen. Also geht sie vorher der Gnade der Einigung, welche Christo allein eigen ist. Auf der anderen Seite heißt es Isai. 42.: „Siehe da meinen Knecht; ich will ihn zu mir nehmen“ und dann folgt: „Ich habe gegeben Ihm meinen Geist, daß er auf Ihn niedersteige,“ was die heiligmachende Gnade ist. Also folgt letztere dem „Annehmen“ der Natur.
b) Ich antworte, die Gnade der Einigung gehe; nicht zwar der Zeit, jedoch der Natur und dem vernünftigen Verständnisse nach voran der heiligmachenden: 1. Gemäß der Ordnung in den Principien beider untereinander. Denn das Princip für die Gnade der Einigung ist die Person des Sohnes, die eben deshalb als in die Welt gesandt bezeichnet wird, weil sie die menschliche Natur angenommen hat; das Princip der heiligmachenden Gnade aber ist der heilige Geist, der danach als gesandt bezeichnet wird, daß Er gemäß der Gnade im vernünftigen Geiste wohnt. Sowie also die Sendung des Sohnes der Natur nach früher ist wie die des heiligen Geistes und wie die Liebe der Natur nach von der Weisheit ausgeht, der heilige Geist vom Sohne; so muß auch die Einigung der menschlichen Natur mit der Person des Sohnes als früher aufgefaßt werden wie die heiligmachende Gnade, welcher gemäß der heilige Geist in der Seele wohnt. 2. Gemäß der Beziehung der Gnade zu ihrer Ursache. Denn die Gnade wird im Menschen verursacht aus der Gegenwart der Gottheit, wie das Licht in der Luft aus der Gegenwart der Sonne. Deshalb heißt es Ezech. 43.: „Die Herrlichkeit Israels ging hinein durch den Weg im Osten; und die Erde erglänzte von den Strahlen ihrer Majestät.“ Die Gegenwart Gottes aber in Christo wird aufgefaßt gemäß der Einigung der Person mit der menschlichen Natur. Die heiligmachende Gnade in Christo also wird aufgefaßt als folgend dieser Einigung, wie der Glanz folgt der Sonne. 3. Gemäß dem Zwecke der Gnade. Denn letztere wird gegeben, damit man gut handle; die Handlungen aber gehören der Person an. Also setzt die heiligmachende Gnade in Christo, wodurch das Handeln der menschlichen Natur vollendet wird, voraus den Charakter der Person als des nächsten Princips für das Handeln. Vor der Einigung aber giebt es keine Person in Christo. Also geht die Gnade der Einigung voraus der heiligmachenden Gnade.
c) I. Augustin nennt da „Gnade“ den freien guten Willen Gottes, der unverdienterweise Wohlthaten verleiht. Beides nämlich, daß Christus Gott war und daß der Mensch den Glauben erhält, kommt vom guten Willen Gottes allein. II. Wie die Vorbereitung in den Dingen, die nach und nach vollendet werden, der Vollendung auf dem Wege des Entstehens vorausgeht; so folgt sie naturgemäß der Vollendung, welche jemand bereits erlangt hat. So ist z. B. die Wärme, welche vorbereitet zur Form des Feuers, die Folge von der bereits bestehenden Natur des Feuers. Nun ist ohne zeitliche Aufeinanderfolge, ohne ein Werden, die Person des Wortes verbunden worden mit der menschlichen Natur in Christo. Also folgt naturgemäß dieser Einigung, wie eine natürliche Eigenheit, die heiligmachende Gnade. Deshalb sagt Augustin (Eenchir. 40.): „Die Gnade ist gewissermaßen dem Menschensohne etwas Natürliches.“ III. Wo Ein und derselbe Bereich der „Seinsart“ ist, da geht das Gemeinsame vorher dem Besonderen, Eigenen. Wo aber um Verschiedenes es sich handelt der Seinsart nach, ist dies nicht notwendig. Die Gnade der Einigung nun ist nicht in der Seinsart der heiligmachenden Gnade; sondern ragt darüber hervor, wie die göttliche Person selber. Also ist sie nicht später wie die heiligmachende Gnade; denn sie enthält keinen beschränkenden Zusatz zu dieser, sondern ist vielmehr Princip und Ursprung dessen, was gemeinsam ist.
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