Fünfter Artikel. Die Gnade in der Seele Christi als einer einzelnen Person ist die nämliche wie die Gnade Christi als des Hauptes.
a) Dagegen spricht: I. Röm. 5. heißt es: „Wie durch die Sünde eines einzigen viele gestorben sind, so ist in reicherem Maße die Gnade Gottes und die Gabe in der Gnade eines einzigen Menschen Jesus Christus übergeflossen in viele.“ Nun ist etwas Anderes die Erbsünde und etwas Anderes die persönliche Sünde Adams. Also ist eine andere die Gnade, insoweit Er Haupt der Kirche ist, und soweit sie in andere überfließt. II. Die Zustände werden unterschieden gemäß den Handlungen. Zu einem anderen Handeln aber ist bestimmt die persönliche, Ihm allein eigene Gnade Christi; nämlich zur Heiligung jener Seele; — und zu einem anderen Handeln die Gnade, welche Ihm als dem Haupte zukommt; nämlich zur Heiligung der anderen. Also bestehen da zwei voneinander verschiedene Gnaden. III. In Christo besteht 1. die Gnade der Einigung; 2. die Gnade, die Ihm als dem Haupte gebührt; 3. die Ihm als einzelnen Menschen gebührende Gnade. Nun ist die erste von der dritten verschieden; also auch die zweite von der dritten. Auf der anderen Seite heißt es Joh. 1.: „Von seiner Fülle haben wir alle empfangen.“ Danach aber ist Er unser Haupt, daß wir von Ihm empfangen. Also insoweit Er die Fülle der Gnade hatte, ist Er unser Haupt. Nun bestand diese Fülle darin, daß Er vollauf die seine Seele heiligende, besondere Gnade besaß (nach Kap. 7, Art. 9.). Also gemäß der Ihm als einzelnem Menschen eigenen Gnade ist Er unser Haupt. Und so ist die zu letzterem nötige Gnade keine andere wie seine persönliche Gnade.
b) Ich antworte; da jegliches wirkt, insoweit sein Sein ein thatsächliches ist, so muß es dasselbe Thatsächliche sein, wodurch etwas thatsächlich Sein hat und wodurch es wirkt; wie es die nämliche Wärme ist, wodurch das Feuer warm ist und wodurch das Feuer wirkt. Nicht aber jegliches Thatsächliche, wodurch etwas thatsächlich Sein ist, genügt dazu, daß es auch zugleich Princip des entsprechenden Einwirkens sei mit Bezug auf Anderes. Denn da das Wirkende höher steht wie das Leidende oder das Empfangende (Aug. 12. sup. Gen. ad litt. 16.; Arist. 3. de anima), so muß das Einwirkende in etwa hervorragen über das Leidende oder Empfangende. Nun ist die heiligmachende Gnade in Christo im hervorragendsten Maße. Alsoauf Grund dieses einzig dastehenden Hervorragens, nicht präcis auf Grund dessen daß Gnade da besteht, hat es die persönliche heiligmachende Gnade in Christo an sich, daß sie auf andere überfließt und so Christus Haupt aller Menschen ist. Dem Wesen nach ist es somit die eine nämliche Gnade; ein Unterschied besteht nur gemäß der vernünftigen Auffassung.
c) I. Die Erbsünde kommt von der persönlichen Sünde Adams vermittelst der Natur, indem die Person in Adam die Natur verderbt hat. Die Gnade in Christo aber fließt nicht zu uns vermittelst der Natur, sondern durch das persönliche Einwirken Christi. In Christo also ist nicht zu unterscheiden eine Gnade, die der Natur entspräche, und eine andere, die der Person zukomme, wie in Adam unterschieden wird die Sünde der Natur und der Person. II. Wenn von zwei Handlungen die eine der maßgebende Grund für die andere ist, so rührt davon keine Unterscheidung in den Zuständen her. Die Handlung aber, welche von der persönlichen Gnade ausgeht, nämlich heilig zu machen wie durch die innewohnende bestimmende Form den, der die Gnade hat, ist der maßgebende Grund für die Rechtfertigung der anderen, was zur Gnade des Hauptes gehört. Also ein solcher Unterschied scheidet nicht zwischen zwei Zuständen. III. Die persönliche Gnade und die des Hauptes haben Beziehung zu einer gewissen Thätigkeit; die Gnade der Einigung aber hat zum Zwecke das persönliche Sein. Also die beiden ersten Gnaden kommen überein im Wesen des Zustandes; nicht aber ist dies der Fall mit der Gnade der Einigung. Es kann jedoch die persönliche heiligmachende Gnade auch gewissermaßen als Gnade der Einigung bezeichnet werden, insofern sie eine gewisse der Einigung entsprechende Verfassung herstellt; — und danach wären diese drei Gnaden dem Wesen nach die nämliche, der Unterschied bestände nur gemäß der vernünftigen Auffassung.
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