Zweiter Artikel. Christus hat in diesem Wissen Fortschritte gemacht.
a) Dem steht entgegen: I. Wie in der seligen und in der eingegossenen Wissenschaft, erkannte Christus auch in dieser Alles. Also ist Er in ihr ebenfalls nicht vorangeschritten. II. Voranschreiten ist Sache dessen, was unvollkommen ist; denn das Vollkommene leidet kein Hinzufügen mehr. In Christo aber war kein unvollkommenes Wissen. III. Damascenus sagt (3. de orth. fide 22.): „Wer da meint, Christus habe Fortschritte gemacht, indem neues Wissen zum früheren hinzutrat, verehrt nicht die Einigung in der einen einigen Person bei Ihm.“ Auf der anderen Seite erklärt Ambrosius zu Luk. 2.: „Und Jesus schritt fort in Weisheit und Alter und Gnade bei Gott und den Menschen“ (de incarn. Dom. c. 7.): „Er machte Fortschritte in der menschlichen Weisheit;“ also in jener, die in menschlicher Weise erworben wird vermittelst der „einwirkenden Vernunft“.
b) Ich antworte, das eine Fortschreiten im Wissen beziehe sich auf das innere Wesen des Wissenszustandes, wenn nämlich dieser Zustand selber vermehrt wird; — das andere auf die Wirkung, insofern der betreffende gemäß ein und demselben Zustande zuerst Geringeres zeigt, dann Größeres. Nach der letzteren Seite nun hin war ein Fortschreiten im Wissen und in der Gnade bei Christo, indem Er gemäß dem höheren Alter größere Werke machte, welche nämlich ein höheres Wissen und höhere Gnade darthaten. Mit Rücksicht aber auf das innere Wesen des Zustandes der Wissenschaft selber konnte weder das eingegossene noch das selige Wissen in Ihm einen Fortschritt zulassen, da Ihm beides im ersten Augenblicke in höchster Fülle gegeben worden war. Besteht also neben diesen beiden Arten von Wissen kein Zustand des erworbenen Wissens, so ist im Wissen überhaupt beim Herrn kein Fortschreiten gewesen; höchstens hätte Er durch das Hinwenden zu den Phantasiebildern das innerlich bestehende Wissen kraft einer gewissen Erfahrung bestätigt gefunden. Danach also sagen manche, Christus habe nur Fortschritte gemacht im Wissen gemäß einer gewissen Erfahrung, indem Er die eingeprägten Ideen zu dem hin wandte, was Er als Neues durch den Sinn empfing. Da aber das Ablösen der Ideen selbst aus den Phantasiebildern her eine natürliche Thätigkeit im Menschen ist, nämlich die der „einwirkenden Vernunft“, es aber unzulässig erscheint, daß eine natürliche vernünftige Thätigkeit Christo gefehlt hätte; so ist es zukömmlich anzunehmen, daß eine derartige naturgemäße Thätigkeit in Christo sich fand. Daraus aber folgt, daß in Christo ein gewisser Zustand des Wissens war, welches durch die Loslösung oder Abstraktion, also durch wirkliche Bildung und nicht bloß durch Anwendung der bestehenden Ideen, aus den Phantasiebildern her dem inneren Wesen nach vermehrt werden konnte; nämlich die „einwirkende Vernunft“ konnte wieder andere Ideen oder Erkenntnisformen von den Phantasiebildern her bilden.
c) I. Sowohl die eingegossene wie die selige Wissenschaft inChristo war die Wirkung einer unendlichen wirkenden Kraft, die Alles zugleich hervorbrachte; und so war da kein Fortschreiten im Zustande selber. Aber die „einwirkende Vernunft“, von welcher die erworbene Wissenschaft verursacht wird, ist eine geschaffene Kraft und wirkt somit nach und nach. Nach diesem Wissen also wußte der Herr nicht vom Beginne an Alles, sondern nach und nach je nach dem Fortschreiten des Alters; weshalb der Evangelist sagt, „Er sei fortgeschritten in der Weisheit und im Alter.“ II. Auch diese Wissenschaft war in Christo immer vollendet; aber je gemäß dem Alter, nicht schlechthin; also nach der Zeit. Und so war sie einem Vermehren zugänglich. III. Damascenus spricht von denen, die da meinen, Christus habe in jeder Art Wissen Fortschritte gemacht, auch gemäß dem eingegossenen Wissen, welches verursacht wird zumal durch die Einigung der menschlichen Natur mit dem „Worte“. Hier aber wird das Fortschreiten bloß von jenem Wissen verstanden, welches von einer beschränkten Kraft verursacht wird.
