Erster Artikel. Der Satz ist wahr: Gott ist Mensch.
a) Dieser Satz ist falsch. Denn: I. Jeder Satz, der da verbindet in bejahender Weise zwei Gegenstände oder Eigenschaften, die einander sehr fern stehen, ist falsch. Hier aber sind zwei sich in höchstem Grade fernstehende Wesen verbunden. Also ist der Satz falsch. II. Mehr kommen überein die drei Personen untereinander wie die menschliche und göttliche Natur. In der heiligen Dreieinigkeit aber wird die eine Person nicht von der anderen ausgesagt; wir sagen nicht, der Vater sei der Sohn oder umgekehrt. Also kann man auch nicht sagen: Gott ist Mensch. III. Athanasius sagt im Symbolum: „Wie Seele und Leib ein Mensch ist, so ist Gott und Mensch der eine Christus.“ Falsch aber ist es zu sagen: Die Seele ist der Leib. Also falsch ist es zu sagen: Gott ist Mensch. IV. Was von Gott nicht der Beziehung nach (relative) ausgesagt wird, das kommt der ganzen Dreieinigkeit zu und jeder einzelnen Person. Dieser Name „Mensch“ aber drückt keine Beziehung aus. Würde er also von Gott ausgesagt, so wäre die Dreieinigkeit und jede der drei Personen Mensch. Auf der anderen Seite heißt es Phil. 2.: „Der, als Er im Wesen Gottes war … sich selbst zu nichte machte, die Knechtsgestalt annahm, den Menschen ähnlich ward und der Natur nach als Mensch erfunden ward.“ Also ist jener, der in dem Wesen Gottes, der Gott dem Wesen nach war, Mensch. Also ist Gott Mensch.
b) Ich antworte, dieser Satz „Gott ist Mensch“ werde von allen Christen zugegeben, nicht aber in der nämlichen Auffassungsweise. So sagen die Manichäer, das Wort Gottes sei Mensch; aber nicht der wahrhaftigen Wirklichkeit, sondern der Ähnlichkeit nach. Der Sohn Gottes nämlich habe einen phantastischen Leib angenommen und werde „Mensch“ genannt, wie man vom Bilde eines Königs sage, dies sei der König, d. h. der Ähnlichkeit nach. Auch jene, die da annahmen, daß in Christo Leib und Seele nicht geeint waren, können nicht sagen, Gott sei wahrer Mensch; vgl. oben 2, Art. 5 und 6.: Kap. 5, Art. 1 und 2. Andere nun umgekehrt wollen die Wahrhaftigkeit und Wirklichkeit des Menschen zugestehen; aber sie leugnen die wahrhaftige Wirklichkeit von seiten Gottes. Denn sie sagen, Christus sei Gott; nicht der Natur, sonderw der mitgeteilten Gnade nach, wie ja auch heilige Menschen Götter genannt werden; nur gelte dies in höherem Grade von Christo, weil Er eine überfließendere Gnade gehabt habe. Danach also bezeichnet der Ausdruck „Gott“ im Satze „Gott ist Mensch“ nicht den wahren wirklichen Gott der Natur nach. Das ist die Ketzerei des Photinus (vgl. Kap. 2, Art. 6.). Wieder andere geben zu, es sei hier wahrhaft und wirklich von „Gott“, wahrhaft und wirklich vom „Menschen“ die Rede; aber sie wahren nicht die volle Wahrheit der erwähnten Aussage. Denn sie sagen, „Mensch“ werde hier von „Gott“ ausgesagt gemäß einer gewissen Verbindung, gemäß der Würde nämlich oder der Autorität oder der Liebe oder dem Innewohnen. So nahm Nestorius an, Gott sei Mensch; und damit werde nichts Weiteres bezeichnet als daß Gott mit dem Menschen in gesagter Weise verbunden und geeinigt sei und dieser so an der Ehre Gottes teilnehme. Ähnlich ist der Irrtum jener, die zwei Personen oder Fürsichbestehende in Christo annehmen. Denn es ist nicht verständlich, wie von zweien, welche der Person oder dem Fürsichbestehen nach verschieden sind, das Eine ausgesagt werde vom Anderen; dies kann nur in figürlicher Redeweise gelten, soweit beide in etwas verbunden sind. So sage ich, Petrus sei Johannes, weil beide miteinander Freunde sind; vgl. darüber Kap. 2, Art. 6. Setzen wir also voraus, daß in Christo die wahre göttliche Natur verbunden sei mit der wahren menschlichen, nicht nur in der Person als Würde aufgefaßt, sondern wirklich im einzelnen Fürsichbestehen, so sagen wir, dieser Satz sei wahr und im eigentlichsten Sinne zu verstehen: Gott ist Mensch; nicht nur auf Grund dessen daß der Inhalt der Ausdrücke ein wahrhaft und wirklich entsprechender ist, daß nämlich Christus sei wahrer Gott und wahrer Mensch, sondern auch insbesondere auf Grund der Wahrhaftigkeit des Aussagens. Ein Name nämlich, der eine allgemeine Natur als eine im einzelnen fürsichbestehende, in concreto, bezeichnet, kann dienen, um jegliches einzelne Fürsichbestehende im Bereiche jener Natur zu bezeichnen; wie z. B. dieser Name „Mensch“, der die allgemeine Natur „Mensch“ als eine einzeln fürsichbestehende, in concreto, ausdrückt, bezeichnen kann jeden im einzelnen, der diese Natur trägt. Und so kann dieser Name „Gott“ auf Grund der Art und Weise zu bezeichnen selber stehen für die Person des Sohnes Gottes, der die göttliche Natur trägt, wie dies I. Kap. 39, Art. 4. dargelegt worden. Da nun von jedem Einzelbestehenden einer Natur ausgesagt werden kann wahrhaft und eigentlich der Name, welcher jene Natur selber als eine einzelbestehende ausdrückt, wie von Sokrates und Plato wahrhaft und eigentlich gesagt wird, daß sie „Mensch“ seien; und da zudem die Person des Sohnes Gottes, welche durch den Namen „Gott“ gekennzeichnet wird, zugleich der Einzelbestand, das Fürsichbestehen der menschlichen Natur ist, so kann wahrhaft und eigentlich ausgesagt werden dieser Name „Mensch“ von diesem Namen „Gott“, insoweit er steht für die Person des Sohnes Gottes.
c) I. Wenn zwei solcher Formen oder Eigenschaften nicht in einem einzigen Fürsichbestehen, in einem suppositum, sich zusammenfinden; da findet sich der Satz so, daß er zwei einander fernstehende Dinge verbinden will, daß nämlich sein Subjekt die eine dieser Form ausdrückt und sein Prädikat die andere. Ist aber die Einheit des Fürsichbestehens vorhanden, so kann von einem Fernstehen der beiden Eigenschaften oder Formen schlechthin mit Bezug aufeinander nicht mehr die Rede sein, sondern es besteht da von seiten der Sache selber eine natürliche, wenn auch zufällige Verbindung; wie wenn ich sage: Das Weiße ist musikalisch. Die göttliche und menschliche Natur nun stehen zwar an sich weit voneinander ab; aber sie kommen beim Geheimnisse der Menschwerdung zusammen in der Person oder im einzelnen Fürsichbestehen, so daß keine von diesen beiden Naturen dieser Person innewohnt zufälligerweise oder von außen allein her mit derselben zusammengehalten, sondern an und für sich, vom Innern aus sich mit ihr deckend. Deshalb bildet den Gegenstand dieses Satzes: „Gott ist Mensch“ etwas aus einander durchaus fernstehenden Dingen Zusammengesetztes und nicht etwas rein Zufälliges, sonach mehr oder minder Trennbares; sein Gegenstand ist eine nach Weise der Natur auf Grund der Einheit der Person hergestellte Verbindung. Und der „Mensch“ wird von „Gott“ ausgesagt nicht wegen etwas Äußerlichem, sondern wie die Gattung vom Einzelbestehen, in dem sie ist, also an und für sich; nicht zwar auf Grund der Natur oder Form, auf welche das Wort „Gott“ hinweist, sondern auf Grund der Person oder des Fürsichbestehens, was da ist Person oder Fürsichbestehen der menschlichen Natur. II. Die drei Personen kommen in der Natur überein, sind aber unterschieden der Person nach; deshalb werden sie nicht voneinander ausgesagt. Im Geheimnisse der Menschwerdung aber werden die Naturen, welche von einander unterschieden sind, nicht voneinander ausgesagt, soweit sie abgelöst vom Einzelnen genommen werden (denn die menschliche Natur ist nicht die göttliche); weil aber beide Naturen in der Person zusammenkommen, so werden sie als einzeln bestehend, in concreto, voneinander ausgesagt. III. „Seele“ und „Leib“ werden in dieser Redeweise genommen als losgelöst vom Einzelnen, in abstraoto, wie „Gottheit“ und „Menschheit“; und so wird in keinem von beiden Fällen das Eine vom Anderen ausgesagt. Als im Einzelbestehen befindlich wird ganz wohl gesagt: „Das Belebte“ und „das Fleischliche“, wie hier „Gott“ und „Mensch“; und so wird das Eine vom Anderen ausgesagt: Das „Beseelte“ ist „fleischlich“. IV. Dieser Name „Mensch“ gilt von Gott auf Grund der Einigung in der Person; und so schließt diese Einigung die Beziehung oder relatio in sich ein. Demgemäß folgt nicht das im Einwürfe Gemeinte.
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