Vierter Artikel. Das Gebet Christi ward immer erhört.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Er betete, daß der Kelch vorübergehe, was nicht geschah. II. Er betete, daß denen, die Ihn kreuzigten, ihre Sünde verziehen werde; und trotzdem wurden die Juden dafür bestraft. III. Er betete für jene, die Ihm glauben würden, daß sie eins seien und daß sie dahin kämen, wohin Er selbst ging. Dies erfüllt sich nicht bei allen gläubigen. IV. Ps. 21. heißt es in der Person Christi: „Ich werde rufen; und Du wirst nicht erhören.“ Auf der anderen Seite sagt der Apostel (Hebr. 5.): „Mit mächtigem Rufen und unter Thränen brachte Er sein Gebet dar; und ward erhört wegen seiner Würde.“
b) Ich antworte; das Gebet sei gewissermaßen eine erläuternde Erklärung des menschlichen Willens. Wann also der Wille eines betenden erfüllt wird, dann wird sein Gebet erhört. Das nun will der Mensch schlechthin, was er mit der Vernunft will. Was wir aber mit den Sinnen wollen oder gemäß der Natur des Willens, das wollen wir unter Bedingung; der Mensch nämlich will Solches, falls nichts Anderes entgegenstände. Gemäß der überlegenden Vernunft also wollte der Heiland nichts als das was Er wußte, daß der Vater es wolle; und danach wurde all sein Wille, auch der menschliche, erfüllt; und sonach ward all sein Gebet erhört. Denn demgemäß werden auch die Gebete anderer erfüllt, je nachdem sie gleichförmig sind dem Willen Gottes, nach Röm. 8.: „Der aber die Herzen durchforscht, weiß“ d. h. billigt, „was der Geist verlangt“ d. h. was Er macht, daß die heiligen verlangen, „weil er nach Gott“ d. h. gemäß dem göttlichen Willen „verlangt für das Heilige.“
c) I. Jenes Gebet wird in verschiedener Weise von den heiligen erklärt. Denn Hilarius sagt (sup. Matth. 31.): „Daß Er aber betet, der Kelch möge vorübergehen, so betet Er nicht, daß Er, der Herr, übergangen werde; sondern daß das, was von Ihm übergeht, auf einen anderen hin sich verbreite; und so betet Er für jene, die leiden würden nach Ihm; als ob Er sagen wollte: Wie von mir getrunken wird dieser Kelch desLeidens, so möge er von diesen anderen getrunken werden, ohne Mißtrauen, ohne Bitterkeit im Schmerze, ohne Furcht vor dem Tode.“ Hieronymus erklärt: „Dieser Kelch, sagt der Herr bezeichnend, d. i. des Volkes der Juden, welche für ihre Sünde, wenn sie mich töten, keine Entschuldigung haben, da sie das Gesetz und die Propheten besitzen, die von mir geweissagt haben und die täglich verlesen werden.“ Dionysius von Alexandrien schreibt: „Daß Er sagt: Es gehe vorüber der Kelch; das will nicht heißen: Derselbe komme nicht. Denn käme er nicht, so könnte er nicht vorübergehen; sondern wie das, was vorübergeht, nicht unberührt ist und gleichwohl nicht bleibt, so verlangt der Heiland, daß die eingetretene Versuchung ein Ende haben möge.“ Ambrosius (zu Luk. 22.), Origenes (tract. 35. in Matth.), und Chrysostomus (84. in Matth.) beziehen dies auf den natürlichen Willen Christi, der vor dem Tode zurückschreckte. Wird also die Stelle nach den erstgenannten verstanden, daß andere mögen im Leiden Ihm nachfolgen, oder daß die Furcht vor dem Leidenskelche Ihn nicht verwirre, oder der Tod Ihn nicht festhalte; — so ist dies erfüllt worden. Richtet sich aber das Verständnis nach den letztgenannten, daß Er nicht trinken wolle den Leidenskelch oder wenigstens nicht von den Juden; — so hat Er uns mit diesen Worten unterrichten wollen über die Wahrhaftigkeit seines natürlichen Wollens und seines sinnlichen Teiles; zugleich aber wollte Christus mit dem vernünftigen überlegten Wollen den Willen des Vaters, so daß, was Er mit der Natur oder der Sinnlichkeit wollte, nicht erfüllt wurde, immer aber das seine Erfüllung fand, was Er schlechthin wollte. II. Der Herr betete nicht für alle, die Ihn kreuzigten, und nicht für alle, die glauben würden; sondern für die unter denselben dazu vorherbestimmten, daß sie durch Ihn das ewige Leben erhalten sollten. Damit ist III. erledigt. IV. Dies ist zu verstehen gemäß der sinnlichen Hinneigung oder der Natur des Willens, welche vor dem Tode zurückschreckte. Immer ward Er erhört in dem, was Er gemäß der Vernunft wollte, also schlechthin.
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